Autograf: Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg Frankfurt am Main (D-F), Sign. Mus. Autogr. A. Schmitt A 158

Hoch und innig verehrter alter edler Freund!

Da die Richtung und das Treiben – auch in der edlen Musika – heutigen Tages eben nicht von einer Art ist, die Einen begeistern könnte – wenigstens mich – so lebe ich im Geiste im alten Ehrwürdigen fort, und denke natürlich auch viel an Sie, hochverehrter Freund.
Ob es am Alter liegt, oder ob es sich in der That u. Wahrheit so verhält? kurz, ich kann mich mit dem Neuen nicht befreunden, und der neuen Musik durch aus keinen Geschmack abgewinnen. Wie zerschlagen fühle ich mich alle mal, so oft ich neue Musik höre.
Doch wozu klagen, da es doch nichts hilft, und alles seinen Gang fortgeht, als wäre nichts vorher da gewesen! Es muß wohl so sein: daß jede neue Generation ihre [???] u. ihren Unsinn durchmacht. Der Erfolg wird es darthun, ob man auf dem ersten oder nicht rechten Weg war? Wenn die Leute von Zukunftsmusik oder republikanischer, aristokratischer oder demokratischer Musik reden oder schreiben, und sagen: „Mozart veraltet, Beethoven Stillstand“ u. was des Unsinns noch weiter heißet(???); so wirwelt‘s(???) mir im Kopf, und mühen(???) da immer: als seien die Irrenhäuser aufgemacht.
So weit ist es mit unserer heiligen Kunst heutigen Tages gekommen!
Hätte die Kunst nicht das beglückende: das sie Einem Tag täglich theurer und heiliger wird, so möchte man manchmal alle Lust verlieren, denn Gesundes, Vernünftiges und Einfaches? - will man durchaus nicht mehr. - Doch ich sage u. klage Ihnen dieß, während Sie wohl sehen längst ebenfalls darum gelitten haben werden.
Was sagen Sie dazu: daß ich fleißiger bin und war, als je in meinem Leben? Seit Juny nur allein habe ich folgende Dinge geschrieben, und zwar mit allem dankbaren Fleiße. Eine Symphonie für klein Orchester; Eine Symphonie-Quartett für 2 Violinen, Viola, Cello u. Contrabaß. 5 Piecen für ein kleines Orchester, welches mein 14jähriger Sohn Gustav errichtet hat1, nehmlich aus lauter Knaben. Ferner ein Violinquartett, welches vor 8 Tagen bei H. Eliason gespielt wurde, u. ein Sextett aus D moll, für 2 Violinen, 2 Violen, Cello u. Contrabaß, welches nächsten Sonntag gemacht werden soll.
Ich sage Ihnen dieß alle nur lediglich aus dem Grunde: damit Sie nicht vielleicht von mir denken: „er sonnt sich, u. legt die Hände in Schoos“ welches, wie Sie sehen, also nicht der Fall ist, im Gegentheil: die unabhängigen Verhältnissen benutze ic lediglich u. allein zu meinem Fleiße, u entsage allen übrigen Lebensfreuden.
Ob Sie sich es noch erinnern, weiß ich nicht, aber in einem Ihrer früheren Briefe erwähnten Sie einmal, daß ich Ihnen eine Symphonie von mir schicken möchte etc.
Da nur am Ende das Gras über‘n Kopf wachsen würde, führten wir auch von uns nicht mehr auf, u. thäten wir nicht auch etwas dafür, daß man auch dieß hörte u. aufführte, so frage ich für heute bei Ihne an: ob Sie noch derselben Meinung sind? u. ob u. was ich Ihnen senden soll? falls Sie im kommenden Winter etwas von mir aufführen wollen.
Meine Sinfonia appassionata kennen Sie. Sie dirigirten Sie in meinem dortigen Concerte. Außer diese habe ich noch zwei Symphonien, eine aus Es, u. eine aus C. nebst eine Menge Ouverturen u. Orchesterwerke charakteristischer Art, wie Z.B. ein Werk für groß Orchester, betitelt: „quasi una Elegia“. Sodann: „Improvisation, Fantasie für groß Orchester u.s.w.
Kurz, was Sie wünschen u. verlangen, steht Ihnen zu Dienst. In Abschrift habe ich alles, und wenigstens 4 fach für die Streichinstrumenten.
Da die Welt heut zutage gar so gerne die Richtung ignorirt, die auch ich gehe, so muß man sich(?) doch machen: nicht bequem zu sein, um auch etwas zu thun, u. aufzulegen – wo – wie in Leipzig u. auch hier – die Thüren nicht verschlossen sind, u. wo man es für eine Gnade u. besondere Gunst hält: wenn Sie von Einem etwas aufführen.
Gält‘ es nicht der Sache, so hätte ich den Leuten schon längst den Bündel an den Kopf geworfen, aber da damit nichts gethan ist, im Gegentheil, so muß man eben doch in einen sauren Apfel beisen, u. das Wort gönnen, so wie ich‘s nämlich noch an mehrere Orte gethan habe. Hilft‘s nicht, auch gut! Jedenfalls seine Pflicht u. Schuldigkeit thun.
Ihr prächtiges Octett hat uns in der Kürze wieder sehr viele Freude gemacht. Ich wirkte sogar selbst mit, nemlic in der Viola. Das einmal giens es sehr gut, u. hat alle entzückt. Die Oper – ist im Augenblick von einer Beschaffenheit! - daß ich lieber nicht hineingehe. Ueberhaupt steht‘s hier mit der edlen Musika im Augenblick fatal.
Ihrer verehrten Frau Gemahlin viele Empfehlungen von mir.
Ihrem Sie hochverehrenden

Freund Aloys Schmitt.

Frankfurt a/m den 1ten September
1852.



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Schmitt an Spohr, 25.07.1851. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Schmitt an Spohr, 06.07.1853.

[1] Vgl. Heinrich Henkel, Leben und Wirken von Dr. Aloys Schmitt, Frankfurt am Main 1873, S. 71.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (23.02.2018).