Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Mein theuerster, hochverehrter Meister!

Ich kann nicht umhin, Sie noch einmal mit der Angelegenheit zu belästigen, die Sie als abgethan zu betrachten wünschten. Ist es mir (u. gewiß jedem nur einigermaßen vernünftigen Menschen) nicht gleichgiltig, überhaupt als eine gemeine oder edle Natur zu erscheinen, um wie viel mehr muß es verletzen, in den Augen solcher Männer, die man zu verehren sich gezwungen sieht, als gewöhnlich u. zu den tiefern Schichten der Menschheit gehörig dazustehen. In der That, es ist dies wahrhaft vernichtend. Mag mich die ganze Welt für einen talentlosen Menschen, ja für einen Dummkopf halten, das könnte ich verschmerzen nur nicht, ihr u. vorzugsweise den Besten als ein niedrig denkendes Subject zu gelten.
Darum hatte ich keine Ruhe, bis ich wenigstens noch Etwas auffand, was mich in Ihren Augen von dem Verdacht, der Verfasser jener Kritik1 über mein Oratorium2 zu sein, zu reinigen vermochte. Es ist dies ein Brief, den ich in jener Zeit an den Hofschauspieler Winterberger in Weimar schrieb. Ich bat ihn angelegentlichst, mir den Brief wieder zukommen zu lassen. Erst wollte er sich nicht finden lassen, endlich aber erhielt ich, wenn auch nicht den ganzen Brief, doch das Stück desselben, was die Bemerkung über die Recension enthält u. zum Glück auch das Postsiegel u. einen Theil der Adresse, ohne welches das Stück werthlos gewesen wäre. Ich lege es bei, damit Sie sich selbst davon überzeugen können.
Daß ich Sie mit dieser fatalen Geschichte wieder behellige, werden Sie freundlichst entschuldigen, wenn Sie zu erwägen die Güte haben wollen, wie sehr es mich schmerzte u. schmerzen mußte, Ihnen, einem Manne, für den ich gleich mein Leben lassen könnte, in einem so üblen Lichte zu erscheinen. –
Zu meiner großen Freude höre ich, daß in nächster Zeit Ihr „Faust“ in Weimar zur Aufführung kommt3 Liszt bietet Alles auf, eine dem künstlerischen Werthe des Werkes nahe kommende Darstellung zu Stande zu bringen, dessen bin ich überzeugt. Sie werden gewiß Freude erleben. Ich schwelge schon in dem Gedanken Sie in Weimar wieder zu finden u. Triumph feiern zu sehen.
Mit der Bitte, mir Ihr Wohlwollen auch ferner zu erhalten, bin ich mit ewiger Verehrung

Ihr ergebenster
F. Kühmstedt

Eisenach am 24t Aug.
1852.

Autor(en): Kühmstedt, Friedrich
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Liszt, Franz
Winterberger, Georg
Erwähnte Kompositionen: Kühmstedt, Friedrich : Die Verklärung des Herrn
Spohr, Louis : Faust
Erwähnte Orte:
Erwähnte Institutionen: Hoftheater <Weimar>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1852082440

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf einen derzeit verschollenen Brief von Spohr an Kühmstedt. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Kühmstedt an Spohr, 28.10.1852.

[1] Vgl. Kühmstedt an Spohr, 06.07.1852.

[2] Die Verklärung des Herrn.

[3] Vgl. dazu u.a. Spohr an Liszt, 04.05.1852.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Wolfram Boder (20.08.2020).