Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Ew. Hochwohlgeb. waren so freundlich, mir Dero werthes Portrait zu versprechen, und da sich durch H. Schonger, dem ich wegen Reparatur meine Geige schreiben mußte, eine Gelegenheit zum Versenden darbietet, erlaube ich mir, Ew. Hochwohlgeb. um die Gefälligkeit zu ersuchen, H. Schonger das pp Portrait zu übergeben. In Betreff des mir geliehenen Quartettconcertes muß ich um Nachsicht bitten, es jetzt noch nicht zurückgeschickt zu haben. Im Verlauf des Sommers war es uns der vielen Dienstverhältnisse wegen nicht möglich, Dero Hochwohlgeb. Werk mit Orchester zur Aufführung zu bringen und wollen es in den Herbstferien nach der Rückkehr meines Bruders executiren. Wir hätten es schon copiren lassen, doch leider ist die Kasse durch den Ankauf eines neuen Flügels so derangirt, dass der Vorstand v. Herbst Nichts für Anschaffen von Musikalien bewilligen kann. Sollten Ew. Hochwohlgeb. aber das Werk zurück haben wollen, so bitte ich um einige gefällige Notiz. Durch mündliche Tradition und aus der musikalischen Zeitung1 ersah ich, dass H. Concertmeister Bott Cassel bald verlassen will. Sollte die Concertmeisterstelle durch einen Violinisten der Casseler Kapelle besetzt werden und dann vielleicht ein auswärtiger Geiger sich nöthig machen, so erlaube ich mir, Ew. Hochwohlgeboren ganz ergebens zu ersuchen, mich geneigtest in Vorschlag bringen zu wollen. Sollte in dieser Beziehung in Cassel keine Aussicht für mich vorhanden sein, so würde ich Ew. Hochwohlgeb. zu großem Danke verpflichtet sein, wenn mich Hochdieselben, wohl oft durch weitverzweigte Correspondenz als Oberpriester im Tempel der Musen um Urtheil über Musiker befragt, geneigtest berücksichtigen wollten.
Meine Gründe, auf eine auswärtige, wo möglich sichere Stelle, da ich Frau und zwei Kinder habe, zu reflectiren, werden dadurch motivirt, weil ich hier leider gar zu lange auf eine Verbesserung meiner Stelle warten und Zeit & Kräfte mit zu viel Privatunterricht zersplittern muss. Da ich nicht blos Violine spiele, sondern auch in Theorie und Clavierspiel ausgebildet bin, und auch in Partiturspiel bewandert, würde es mir angenehm sein, eine selbständigere Stellung bei einem kleinen Orchester zu erzielen.
Die durch den Weggang des H. Kapellmeister Hermann erledigte Stelle ist provisorisch H. Kapellmeister Kirchhoff, früher schon mehrere Jahre hier Concertmeister, seit Kurzem übertragen.2 Es hatten sich gegen vierzig Candidaten angemeldet.3 Vor Kurzem wurde auch das vor mehreren Jahren aufgelöste Militairhautboistenchor durch circa(???) achtzehn neuengagirte Musiker neu organisirt, welcher Anstand auch ungünstig auf Verbesserung mehrerer Stellen bei der Kapelle einwirkt. Außerdem habe ich und Collegen (Hofmusiker) seit einem Jahr vielleicht eine recht charmante Zugabe im Dienst, als Hofbälle, Tafemusik etc. zu spielen, was mir allerdings, wenn man den Parnassus des höheren Wissens & Könnens in der Musika eingermassen erstiegen, den Cicero & Horaz gelesen, nicht gerade mundet. Doch ich bitte um Entschuldigung wenn ich Sachen berühre, die ich für mich behalten sollte. Doch ich weiß ja, von derlei Mittheilungen wird kein Gebrauch gemacht. Ich komme leider nur mehr zu der Einsicht, daß mir fortuna im Vaterlande nicht in ihrem rosigen Glanze erscheinen will, und ergreife, so ungern ich auch mein eigenes Vaterland lieber Verwandte und Freude halber verlassen mag, mit Freuden die Gelegenheit, wenn ich im Auslande eine bessere Stelle erzielen kann.
Mein Einkommen besteht mit Privatunterricht ungefähr in dreihundert & fünfzig Thaler, was ich Ew. Hochwohlgeb. mittheilen zu müssen glaube.
Die so wohlwollenden und edlen Gesinnungen Ew. Hochwohlgeboren lassen mich hoffen, dass vorkommenden Fall Hochdieselben an mich, den treuesten Verehrer des berühmten Meisters der Töne denken werden, und empfehle mich mit der ausgezeichnetsten Hochachtung

Ew. Hochwohlgeboren
dankbarster Schüler,
Louis Hässler.

Sondershausen,
den 10. August
1852.



Dieser Brief ist die Antwort auf einen derzeit verschollenen Brief von Spohr an Haessler.

[1] Noch nicht ermittelt.

[2] Vgl. „[Man schreibt uns aus Sondershausen]“, in: Signale für die musikalische Welt 11 (1853), S. 61f., hier S. 62; Friedrich Wilhelm Beinroth, Musikgeschichte der Stadt Sondershausen, Innsbruck 1943, S. 127.

[3] Beinroth zufolge nur „nahezu 30 erprobte Musiker“, von denen er 27 namentlich anführt (vgl. ebd., S. 129).

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (29.07.2020).