Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287
Hochverehrter Herr Kapellmeister!
Seit 14 Tagen oder 3 Wochen befinde ich mich in einer Gemüthsverfassung, die die entsetzlichste ist, welche ich in meine Leben gehabt habe u. die ich nicht länger zu ertragen vermag, ohne meine geistige u. physische Gesundheit in Gefahr zu bringen.
Vor jener Zeit erfuhr ich nämlich rein durch Zufall, daß Sie mich für den Verfasser einer abscheulichen mit „Friedrich Schmidt“ unterzeichneten Recension1 über die Aufführung meines Oratoriums2 hielten.3 Ich reiste auf der Stelle nach Erfurt, wo dieses Gerücht ausgesprochen worden war u. zu meinem Entsetzen fand ich es bestätigt u. sogar, daß der Schein wider mich war, indem die Recension einige Wendungen u. Wörter enthält, die einigen Äußerungen von mir sehr nahe kommen.
Da ich mir nach jeder Richtung hier eines sittlich reinen Lebens bewußt bin, so mußte die Erfahrung, mich von Ihnen, dem Manne, dem ich wirklich meine Existenz verdanke, der mir als Mensch u. Künstler Vorbild war u. ist, den ich unter allen Menschen, die ich kenne, am höchsten stelle u. verehre – für einen für einen gemeinen u. – gegen Sie undankbaren Menschen gehalten zu werden, vernichtend werden u. wirken. Ich that, was ich thun konnte, hinter die Wahrheit der Sache zu kommen, u. Hr. Musikdirector Ködschau, gegen den ich mich aussprach, versprach mir, auf der Stelle Ihnen zu schreiben u. mir dann wieder zu berichten. Aber bis heute habe ich noch keine Zeile erhalten; u. dies bewegt mich zu diesen Zeilen Ich kann Ihnen4 nun freilich keinen mathematischen Beweis von meiner Nichtautorschaft jenes Artikels liefern u. wenn Ihnen die Versicherung meiner Unschuld u. die Darlegung dessen, was ich der Identität einiger meiner Äußerungen mit Wendungen in der Recension erkläre5 nicht genügt – dann bleibt ewig ein Stachel in meiner Brust.
Der Grund der Übereinstimmung zwischen mir u.dem Artikel ist offenbar folgender:
Ich habe allerdings Fragen. Wie: „Nun wie hat Ihnen Ihr eigenes Werk gefallen?“ „Sind Sie mit sich selbst zufrieden?“ pp. pp., die schon in Kassel an mich gethan wurden, dahin beantwortet, „daß ich ein paar Nummern für recht gelungen halte“; ich habe gesagt: „in diesem u. diesem Chor glaube ich hinter Mendelssohn nicht zurückgeblieben zu sein“. Ferner habe ich noch geäußert: „in Bezug auf Instrumention fehlt mir noch Erfahrung u. das Gefühl der Sicherheit“ pp.
Dies alles hat Körner gehört. Als ich nun von Kassel wegreiste, blieb Körner noch einen Tag länger dort – u. da glaube ich, ja ich behaupte es, obgleich er es nicht gesteht, daß Körner irgend einen Schreiber in Kassel bestochen hat, der für ihn diesen Artikel, zu dem er das Material aus meinen eigenen Urtheilen gab, schreiben oder auch nur von Kassel aus absenden mußte. Ich kann das um so mehr behaupten, weil Körner schon ähnliche Mittel gebraucht hat, seine Verlagsartikel an das Publicum zu bringen.
Daß ich der Verfasser der Recension nicht bin, darüber will ich noch einen Beweis dadurch liefern, daß ich in ein paar Briefen nach Weimar, unter andern an den Hofschauspieler Winterberger, welcher den Artikel von mir zu haben wünschte, diesen als aus unreiner Quelle hervorgegangen bezeichnet habe. So bald ich eines derselben wieder habhaft werden kann, werde ich denselben vorlegen.
Weiter vermag ich nichts zu thun. Doch wenn Sie mir je etwas Gutes zugetraut haben, so wird es hinreichend sein, mich in Ihren Augen von dem Verdacht zu reinigen, als sei ich zu solcher Gemeinheit fähig gewesen.
Meine Ruhe würde vollständig wiederkehren, wenn Sie darüber mir nur einige Worte zukommen lassen wollten.
Ihr ewig
Sie verehrenden u. liebender
F. Kühmstedt
Eisenach am 6t Juli
1852.
Autor(en): | Kühmstedt, Friedrich |
Adressat(en): | Spohr, Louis |
Erwähnte Personen: | Ketschau, Andreas Körner, Gotthilf Wilhelm Mendelssohn Bartholdy, Felix Winterberger, Georg |
Erwähnte Kompositionen: | Kühmstedt, Friedrich : Die Verklärung des Herrn |
Erwähnte Orte: | Erfurt Kassel Weimar |
Erwähnte Institutionen: | |
Zitierlink: | www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1852070640 |
Der letzte Brief dieser Korrespondenz ist Kühmstedt an Spohr, 14.04.1852. Spohrs Antwortbrief ist derzeit verschollen.
[1] Fr. Schmidt, „Kassel, 15. April (Kühmstedt“), in: Urania 9 (1852), S. 90f.
[2] Spohr hatte Kühmstedts Oratorium Die Verklärung des Herrn am 09.04.1852 in Kassel aufgeführt.
[3] Vgl. Spohr an Andreas Ketschau, 08.05.1852.
[4] „Ihnen“ über der Zeile eingefügt.
[5] „erkläre“ über der Zeile eingefügt.
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Wolfram Boder (19.08.2020).