Autograf: Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Sign. App. 503 II 354

Fräulein Rosalie Spohr
adr: Herr Kammerbaumeister Spohr
in
Braunschweig.
 
 
Cassel den 22sten Mai
1852.
 
Meine liebe Rosalie,
 
Ich glaubte aus Deinem vorletzten Briefe verstanden zu haben, daß Frl. Büry selbst an die hiesige Intendanz schreiben würde, sonst hätte ich Dir schon längst ihretwegen geantwortet. Unser Intendant, Herr v. Heringen, hat sie in Dresden gehört, ihren Gesang recht gut gefunden, behauptet aber, sie habe nur ein Auge und deshalb werden der Kurfürst ihr Engagement an unserer Bühne nie zugeben. Ob er in Bezug auf das Auge recht hat, wirst Du, da Du sie kennst, am besten wissen; mir wäre dieß sehr gleichgültig, wenn sie wirklich eine vorzügliche Sängerin ist.
Daß Du dich nach neuer Harfenmusik sehnst, finde ich sehr natürlich, denn ewig das Selbe zu spielen, ist sehr geisttödtend. Ich weiß Dir leider keine zu verschaffen, und bin auch schon zu alt und schon zu lange der Harfe entfremdet, um selbst welche1 schreiben zu können. Besonders würde ich mich nicht in die neuen Efekte, die durch den Double mouvement entstehen, zu finden wissen. Es giebt aber außer der Alvar’schen Musik gewiß noch andere gute, z.B. von Bochsa, der ganze Stöße Harfenmusik geschrieben hat, und zwar zu einer Zeit, wo der neue Mechanismus bereits erfunden war. Ich habe bey meinem ersten Aufenthalt in London sehr gute Kompositionen von ihm gehört. Besitzest Du noch nichts von ihm? - Daß Du mit dem Mechanismus Deiner Harfe nicht zufrieden bist, und durch das Klirren der Saiten beym Üben gestört wirst, ist allerdings sehr ärgerlich und so nützlich Dir vieleicht die Geduldsprobe auch2 wäre, so wünsche ich doch von Herzen, daß Du damit verschont würdest! Kann Dir denn der Tausendkünstler Wilhelm Krämer nicht helfen?
Ob wir während der Ferienzeit die Reise nach London, oder überhaupt eine Reise werden machen können, ist noch sehr zweifelhaft, da mein Prozeß bis dahin noch nicht entschieden seyn kann und es dem Kurfürst leicht einfallen kann, mir abermals, wie im vorigen Jahre den Urlaub zu verweigern. Kommt es zum Reisen, so werden wir Euch vieleicht auf einige Tage besuchen, da wir die Absicht haben, außer der Londoner Reise auch eine nach Hamburg zu machen, wo wir seit dem Brande3 noch nicht wieder waren.
Mit herzlichen Grüßen an Deinen Vater, die Schwester und alle Angehörigen
 
Dein Dich liebender Onkel
Louis Spohr.

Autor(en): Spohr, Louis
Adressat(en): Spohr, Rosalie
Erwähnte Personen: Alvars, Parish
Bochsa, Robert Nicolas Charles
Büry, Agnes
Friedrich Wilhelm Hessen-Kassel, Kurfürst
Heeringen, Josias von
Krämer, Wilhelm
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte: Braunschweig
Dresden
Hamburg
London
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1852052200

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf zwei derzeit verschollene Briefe von Rosalie Spohr an Louis Spohr (April oder bis Mitte Mai 1852 und bis zum 20.05.1852 ). Der nächste überlieferte Brief dieser Korrespondenz ist Louis Spohr an Rosalie Spohr, 14.09.1852, aus dem sich ein weiterer, derzeit verschollener Brief von Rosalie Spohr an Louis Spohr erschließen lässt.

[1] Hier gestrichen: „zu“.
 
[2] „auch“ über der Zeile eingefügt.
 
[3] Zwischen dem 05. und 08.05.1852 zerstörte ein Brand große Teile der Hamburger Altstadt, wobei auch viele Freunde Spohrs Hab und Gut verloren.
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (02.06.2017).