Autograf: ehemals Privatbesitz Dr. Ernst Hauptmann in Kassel, vermutlich 1943 Kriegsverlust
Druck 1: Louis Spohr, Louis Spohr's Selbstbiographie, Bd. 2, Kassel und Göttingen 1861, S. 351f.
Druck 2: La Mara (= Pseud. für Marie Lipsius), Classisches und Romantisches aus der Tonwelt, Leipzig 1892, S. 146-149
Inhaltsangabe: Computerdatei von Herfried Homburg († 2008) nach einem Exzerpt von Franz Uhlendorff

Cassel den 21sten Mai 1852.
 
Geliebter Freund,
 
Lange schon hatte ich die Absicht, unsere Correspondenz wieder in Gang zu bringen, und immer wurde ich wieder abgehalten. Ich bin Ihnen daher recht dankbar, daß Sie mir zuvorgekommen sind, und mich veranlassen Ihnen zu schreiben, oder vielmehr zu antworten.
Ob ich während der Ferienzeit von hier fort darf ist noch sehr zweifelhaft. Mein Prozeß wird bis dahin noch nicht entschieden seyn; wenn daher der Kurfürst mir von Neuem den Urlaub während der Ferienzeit verweigert, so werde ich mich fügen müssen, und ihn vieleicht erst in den letzten 6 Wochen des Jahres antreten können. Benutzen werde ich ihn aber jedenfalls, und sollte es wirklich mitten im Winter seyn!1 — Darf ich aber reisen, so wird es in der entgegengesetzten Richtung von Leipzig seyn. Ich habe nämlich für diesen Fall zugesagt nach London zu kommen, und dort im italiänischen Theater des Herrn Gye meine Oper Faust zu dirigiren. Daß ich dieß Werk, auf den Wunsch der Königin von England und des Prinzen Albert, zur großen Oper umgeschaffen habe1a, hat Ihnen wohl bereits Frau von Malsburg erzählt. Diese Arbeit hat mir viel Freude gemacht und mich 3 Monath lang angenehm beschäftigt, da sie mich ganz in die glückliche Wiener-Jugendzeit zurückversetzte! Zuerst hatte ich mit Hülfe meiner Frau die Dialogscenen in solche umzuschaffen, die sich zur Komposition eignen. Dabey war ich bemüht diesen Dialogscenen mehr Interesse zu geben, als sie bisher hatten, und das auszumerzen, was mir von jeher bey den vielen Aufführungen, die ich von dieser Oper erlebte, mißfallen hatte, und ich glaube und hoffe, daß mir beydes gelungen ist. Dann galt es, mich wieder in den Styl und die Stimmung zurückzuversetzen, die ich hatte, als ich den Faust schrieb, und ich hoffe, daß auch dieß mir geglückt ist und niemand eine Verschiedenheit im Styl zwischen dem Alten und Neuen bemerken wird. Die Oper hat nun 3 Akte. Der 2te schließt mit der Hochzeitsscene,- der 3te beginnt mit einem neuen Entreakt, der, mit Reminiscenzen aus dem Trio des Fackeltanzes und der Hexenmusik, die von Faust durchschwelgte Nacht malt, und dann in ein großes Recitativ des Mephisto übergeht, an welches sich die Arie in E anschließt. Nach dem Vorüberzuge der Hexen folgt dann ein Rezitat. des Faust, ebenfalls mit Anklängen aus Früherm und Späterm, und dann ein kürzeres zwischen ihm und Wagner, dem sich das letzte Finale anreihet. — Ich bin nun sehr gespannt, die Oper in ihrer neuen Gestalt einmal zu hören. Sollte aus der Londoner Reise nichts werden, so hoffe ich sie in Weimar zu hören, da Liszt sie für das dortige Hoftheater in der neuen Bearbeitung verlangt hat.2
Doch wieder auf die Reiseangelegenheit zurückzukommen, so hoffen wir, daß, da Sie in kein Bad gehen, sondern nur reisen wollen, wir die Freude haben werden, Sie mit den lieben Ihrigen auch hier zu sehen! Dieß würde mir, wenn mich des Kurfürsten Machtgebot hier fest bannt, ein großer Trost seyn. Ich werde daher nicht versäumen, Ihnen beym Beginn der Ferien zu melden, wie es mit mir wird. [...]
Mit meiner Lebensbeschreibung bin ich bis zu meinem Abgange von Frankfurt und der ersten Reise nach London gekommen, und habe die Absicht diese Arbeit nun wieder aufzunehmen, nachdem sie abermals lange geruht hat. Ich wäre weiter damit, wenn mich nicht der Zweifel quälte, daß es mir an Geschick dazu fehlt. Um darüber in's Reine zu kommen, mögte ich sie Ihnen wohl einmal zum Lesen geben, doch kann ich mich auch nicht entschließen, sie aus der Hand zu geben. Kommen Sie aber hieher, oder wir im Winter nach Leipzig, was leicht geschehen kann, wenn der Kurfürst mir jetzt den Urlaub verweigert, so lege ich sie Ihnen gewiß vor.
Unter herzlichen Grüßen von uns an die lieben Ihrigen, mit alter Freundschaft ganz
 
der Ihrige
Louis Spohr.

Autor(en): Spohr, Louis
Adressat(en): Hauptmann, Moritz
Erwähnte Personen: Albert Großbritannien, Prinzgemahl
Friedrich Wilhelm Hessen-Kassel, Kurfürst
Gye, Frederick
Liszt, Franz
Malsburg, Caroline von der
Spohr, Marianne
Victoria, Großbritannien, Königin
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Faust
Erwähnte Orte: Leipzig
London
Weimar
Erwähnte Institutionen: Covent Garden <London>
Hoftheater <Weimar>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1852052103

https://bit.ly/

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf einen derzeit verschollenen Brief von Hauptmann an Spohr. Der nächste belegte Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Hauptmann, 06.01.1853.
Die Wiedergabe dieses Briefs folgt hier nach der vollständigeren und wahrscheinlich auch zuverlässigeren Version von Druck 2.
Uhlendorffs Inhaltsangabe „Plan, Faust als Große Oper umzuarbeiten“ scheint hier unzuverlässig, weil die beiden Drucke übereinstimmend die Fertigstellung der Bearbeitung berichten.
 
[1] Vgl. Louis Spohr, Louis Spohr’s Selbstbiographie, Bd. 2, Kassel und Göttingen 1861, S. 348ff.
 
[1a] [Ergänzung 29.08.2018:] Vgl. Frederick Gye an Spohr, 16.02.1852.
 
[2] Vgl. Franz Liszt an Spohr, 29.04.1852.
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (25.01.2017).

Daß ich meine Oper „Faust“ auf den Wunsch der Königin von England und des Prinzen Albert zur großen Oper umgeschaffen habe, haben Sie wohl schon gehört. Diese Arbeit hat mir viel Freude gemacht und mich drei Monate lang angenehm beschäftigt, da sie mich ganz in die glückliche Wiener Jugendzeit versetzte. Zuerst hatte ich mit Hülfe meiner Frau die Dialogscenen in solche umgeschaffen, die sich zur Composition eignen. Dabei war ich bemüht, denselben mehr Interesse zu geben, als sie bisher hatten, und das auszumerzen, was mir von jeher bei den vielen Aufführungen, die ich von dieser Oper erlebte, mißfallen hatte, und ich glaube und hoffe, daß mir beides gelungen ist. Dann galt es, mich wieder in den Styl und die Stimmung zurück zu versetzen, die ich hatte, als ich den Faust schrieb, und ich hoffe, daß auch dies mir geglückt ist und Niemand eine Verschiedenheit im Styl zwischen dem Alten und Neuen bemerken wird. Die Oper hat nun drei Acte; der zweite schließt mit der Hochzeitsscene und der dritte beginnt mit einem neuen Entreact, der mit Reminiscenzen aus dem Trio des Fackeltanzes und der Hexenmusik die von Faust durchschwelgte Nacht malt und dann in ein großes Recitativ des Mephisto übergeht, an welches sich dessen Arie in E-dur anschließt. Nach dem Vorüberzuge der Hexen folgt dann ein Rezitativ des Faust, ebenfalls mit Anklängen aus Früherm und Späterem, und darauf ein kürzeres zwischen ihm und Wagner, dem sich das letzte Finale anreihet. — Ich bin nun sehr gespannt, die Oper in ihrer neuen Gestalt einmal zu hören! Sollte aus der Londoner Reise nichts werden, so hoffe ich sie in Weimar zu hören, da Liszt sie für das dortige Hoftheater in der neuen Bearbeitung verlangt hat.