Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms.Hass. 287

Herrn Capellmeister L. Spohr in Cassel

Was mögen Sie hochverehrter Herr wohl denken, wenn Sie beginnen diese Zeilen zu lesen, deren Schreiberin Ihnen wohl ein wenig weinerlich sein wird, ja etwas von ihr gehört zu haben; es ist auch gewiß eine große Kühnheit daß ich solches wage und ich kann es nur mit meiner großen Liebe zur Kunst und der gleich großen Verehrung entschuldigen, die ich immer für den Componisten der Zemire und vieler andern mir theuern Werke aus der selben Feder geflossen, gefühlt habe.
Von Kindheit an für Gesang, und für Musik überhaupt, glühend, in meiner Jugend mit einer hübschen Stimme begabt, nahm ich damals schon auf den Wunsch meines Vormundes, des seeligen Baumeister Limburger, Theil an den Sologesängen der Abonnementconcerte und gewiß dabei den Unterricht der Frau v. Czeha(???), der ich es zu danken habe immer mich meiner Stimme noch freuen zu können, so viele Jahre auch darüber hingegangen sind.
Ich verheirathete mich frühzeitig, studirte aber dabei immer fort, sodaß nächst Mann und Kindern, die Musik mir immer das Liebste auf der Welt war; so habe ich denn das Glück gehabt bis jetzt in der Musik fortleben zu können, was mir auch den großen Genuß gewährte, mit so vielen Künstlern näher bekannt zu werden;
Erst vor einem Jahr, eigentlich recht spät, kam ich auf die Idee, mir in ein Album liebe Sinnschriften zu sammeln; wie das im Leben oft geht, so lange man die Befriedigung des Umgangs selbst genießt, entbehrt man es weniger und ein Unrecht that ich, denn um wie manche Handschrift theurer dahingeschiedener würde ich reicher sein! Alle die Sie geehrter Herr in beiligenden Gedenkbuch finden werden, sind mir persönlich näher oder ferner bekannt und ich nahe mich jetzt allerdings mit beklommenem Herzen zum erstenmale ungekannt, Ihnen, mit der großen Bitte, mir Ihren theuren Namenszug darin zu schenken: die Innschriften selbst mögen mich ein wenig vertreten, daß es nicht eine ganz Unwürdige ist, die diese Bitte ausspricht auch habe ich deshalb einige liebe Briefe beigefügt, unter andern ein Handschreiben vom verewigten Mendelssohn der mich Anno 43 freundlich veranlaßte, mit nach Dresden zu der Aufführung seines Paulus am Palmsonntag zu kommen um, wie er sich gütig ausdrückte ein wenig mit zu helfen!1
ich werde ihm diese Freundlichkeit nie vergessen, da er deshalb im Concert in der Pause selbst vom Orchester kam und mich im Saal aufsuchte.
Sollte nun meiner großen Bitte von Ihnen verehrter H. Capellmeister die Erfüllung werden, so würden Sie mich dadurch recht glücklich machen u. sollte mich je mein Weg durch Cassel führen, würde ich mir erlauben, persönlich meinen Dank zu bringen.
Ueberbringer dieses, E. Zernin ein junger Vetter von uns, seit kurzem Commis beim Buchhändler Vollmann in Cassel, ist mir sehr dankbar ihm dadurch den Vorzug einer persönlichen Annäherung zu Ihnen veranlasst zu haben, den er hoch verehrt, er wird auch von allen Bitten mit vorerst die Beruhigung zu gewähren, daß Sie mir nicht wegen meiner Zudringlichkeit zürnen, die allerdings sehr fühlt

Ihre ganz Ergebene
Lidy Steche
geb. Angermann

Leipzig
d. 12. Mai 1852.

Autor(en): Steche, Lidy
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Limburger, Julius Bernhard
Mendelssohn Bartholdy, Felix
Vollmann, Gustav Eduard
Zernin, E.
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte: Leipzig
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1852051244

Spohr



Spohrs Antwortbrief vom 25.05.1852 ist derzeit verschollen.

[1] Vgl. Felix Mendelssohn Bartholdy an Steche, 04.04.1843, in: Felix Mendelssohn Bartholdy, Sämtliche Briefe, Bd. 9, hrsg. v. Stefan Münnich, Lucian Schiewietz und Uta Wald unter Mitarb. v. Ingrid Jach, Kassel u.a. 2015, S. 268f.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (07.10.2021).