Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Sr Hochwohlgeboren
dem
Herrn Hofkapellmeister Dr
Louis Spohr
zu
Kassel.

Frey.


Freiburg den 3ten April.
1852.

Hochgeehrtester Herr!

„Meinen herzlichen und tief-gefühlten Dank für Ihr herrliches Geschenk, so wie für Ihren gütigen, theilnehmenden Brief.“
Jetzt kann ich's nimmer aushalten:
Der Hoffnungsstern auf baldige Unterstützung ist durch das Unwohlsein des Großherzogs v. Baden1 abermals untergegangen. in Francfort a/M ließ man mich noch nicht einmal die Prüfungs-Arbeiten machen. Darum vertraue ich auf Gott und gute Leute und nimm von hier aus einige Empfehlungen und mein Genie mit und gehe in den nächsten „8“ Tagen nach München. Der Entschluß ist sehr gewagt; – ich weiß es. Aber was soll aus mir zwanzigjährigem Esel werden, wenn ich mit einundzwanzig Jahren noch auf ein Stipendium warte, das dann – ein Anderer bekommt? Ihre Warnungen sehe ich leider zu gut ein. Den gaenzlichen Mangel an Bildung wird mir mein Verstand nie ganz ersezen. „München“ wähle ich als das nächste Conservatorium, besonders aber seiner außerst billigen Lebensweiße und der wenigen Empfehlungen wegen.
Die Reise wird und Muß zu Fuße von sich gehen. Auch kann ich mit Seneka sagen: „omnia porto mecum“.2
Ob ich die 40 Fl. Lehrgeld am Conservatorium zu München bezahlen kann; ob ich also überhaupt an's Conservatorium kann, weiß ich jezt noch nicht.
Ich habe mir nicht mit der träumerischen, seeligen Hoffnung geschmeichelt, – im Besize eines Stipendium's – unter „Ihrer“ Leitung in Kassel meine Bildung hohlen? Zu können, aber Sie sehen, daß mein Schicksal mich demüthigt. Doch der, der mir mein Talent gab, wird mich nicht ganz verlassen. Ich hoffe es. Doch will ich selbst kein Mittel unversucht lassen, das mir helfen kann; deßhalb bitte ich Sie recht sehr, wenn Sie etwa mich in München auf irgend eine Weise eventuell unterstüzen können, es in Bälde zu thun. Es schmerzt mich sehr, daß ich Sie immer nur bitten muß; und gerade Sie, der Sie so Vieles für mich schon gethan haben. Aber ich bin, weiß Gott, nicht gut dran. Es wird schwerlich jemand so geringe Ansprüche an das Leben machen, als ich; denn mein Leben ist die Kunst. Aber muß ich nicht Essen, Schlafen, etc., etc., etc. ? ? ? Was hilft mir hiezu mein Talent? Ein gutes Betragen?
Mein guter Vater kann mich bei seiner schlechten Stellung und bei seinen andern „6“ Kindern gar nicht unterstüzen. Vermögen habe ich keines.
Sie haben meine in Sie gesezte Hoffnung so schoen gerechtfertigt im lezten Schreiben, daß ich auch jetzt hoffen kann, Sie werden so groß und edel sein u. mir helfen, wenn Sie können.
Aushalten kann ich es jetzt nimmer. Gott weiß es. Einen andern Weg weiß ich nicht, mir zu helfen. Vielleicht wenn Mancher weise Mann in München mich ganz kennen würde, er würde mir helfen. Die Welt ist so gesegnet mit Mitteln, und nur für mich sollte nirgends ein Dachstübchen – und wenn's auch an den Mond grenzt – frei sein? Ein wenig sonderbar ist mir bei All dem doch zu Muthe, – ich will's gesteh'n.
Sie sind ein so guter und herrlicher Mann, daß Sie mich doch noch gerne haben werden, wenn Sie mir auch nicht helfen können; – das hoff' ich.
Noch einmal danke ich Ihnen aus ganzer Seele für Ihren lezten Brief und Ihr Oratorium3 mit der schönen Introduction d.h. Fuge:

F. Keppner,
In tiefster Hochachtung
und Verehrung.

Der Professor „Maier“ vom Conservat. in München weiß mein künftiges Logi[s.]

Autor(en): Keppner, Franz Joseph (Sohn)
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Leopold I. Baden, Großherzog
Maier, Julius Joseph
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Des Heilands letzte Stunden
Erwähnte Orte:
Erwähnte Institutionen: Konservatorium <München>
Mozartstiftung <Frankfurt am Main>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1852040346

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf Spohr an Keppner, 28.12.1851. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Keppner an Spohr, 16.07.1852.

[1] Großherzog Leopold I. von Baden starb am 24.04.1852.

[2] Der Spruch heißt eigentlich „omnia mea mecum porto“ („All meinen Besitz trage ich bei mir“) und wurde von Cicero in seiner Schrift Paradoxa Stoicorum überliefert, der ihn dem griechischen Philosophen Bias von Priene zuschreibt.

[3] Des Heilands letzte Stunden.

Kommentar und Verschlagwortung, sofern in den Anmerkungen nicht anders vermerkt: Wolfram Boder (26.09.2019).