Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. N.Mus.ep. 454

Mr. Frederick Gye
Royal Italian Opea
Covent Garden.
London.


Cassel, den 22sten Febr.
1852.

Hochgeehrter Herr,

In der, von Ihnen vorgeschlagenen, Weise halte ich es für möglich, meine Oper Faust in eine große Oper mit Rezitativen umzuarbeiten, und ich werde gern die Umarbeitung und die Komposition der Rezitative übernehmen. Da1 meine Berufsgeschäfte mir nur wenig Zeit zu eigenen Arbeiten übrig lassen, so wünschte ich vor allem von Ihnen erfahren, wie bald ich Ihnen spätestens die Rezitative einsenden muß? Damit aber unterdeß keine Zeit verloren gehe, habe ich sogleich begonnen, und bereits das erste Rezitativ in Entwurf vollendet.
Bey der hiesigen Aufführung des Faust singt Kunigunde im 2ten Akt der Oper, vor der Hochzeitsscene Nro 13, noch eine zweite große Arie mit obligater Clarinette in meiner Komposition. Wünschen Sie diese Arie zu haben, so werde ich eine Abschrift der Partitur machen lassen, und sie Ihnen baldigst einsenden, damit der italiänische Text unterdeß unterlegt werde. Auch mache ich Sie, oder vielmehr Ihren Maschinisten darauf aufmerksam, daß die Ausführbarkeit der Oper durch eine zweckmäßige Anwendung der Decorationen und der Maschinerien sehr erleichtert werden kann. Um nur einiges anzuführen, so muß in der ersten Scene neben der ersten oder zweiten Coulisse ein beliebiges Bauwerk, am besten wohl ein Gothischer Brunnen, aufgestellt werden, damit hinter demselben die 4 Gefährten Fausts bereits an ihrem Tisch sitzen, wenn zur folgenden Decoration verwandelt wird. Auch muß der Baumstamm, auf welchem Röschen im Terzett Nro 7 ermüdet niedersinkt, und welcher sich dann in einen Wolkenwagen verwandelt, ja nicht zu entfernt vom Orchester seyn, weil sonst ein genaues Zusammentreffen der Sänger mit dem Orchester unmöglich seyn würde. So darf auch die Burg, die Schlußdecoration des ersten Akts, aus gleichen Gründen, nicht gar zu tief auf dem Theater seyn, wenigstens muß der Thurm mit dem Balkon, auf welchem Kunigunde und Gulf erscheinen, weit genug vorspringen, damit man die Sänger deutlich hört. Die schwierigsten Aufgaben für den Decorationsmaler und den Maschinisten bieten aber die erste und die letzte Scene des 2ten Akts dar, nämlich der Blocksberg und Fausts Zimmer, durch dessen zerborstene Wand er von Mephistofeles davon geführt wird.
Für diese beyden Scenen etwas Passendes, was zugleich effektvoll wäre, auszusinnen, ist bisher auf deutschen Theatern, wenigstens solchen, wo ich die Oper sah, noch nicht geglückt. Doch ist’s möglich, daß2 Wien und Berlin eine Ausnahme davon machen, denn dort sah ich den Faust noch nicht.
Ob es mir möglich seyn wird zu der Aufführung der Oper nach London zu kommen, da[s kann] ich jetzt noch nicht bestimmen. Kann ich [es] ermöglichen, so werde ich gern die erste, oder die beyden ersten Aufführungen des Werkes leiten.
Mit vorzüglicher Hochachtung habe ich die Ehre zu seyn

Ihr
ergebenster
Louis Spohr

Autor(en): Spohr, Louis
Adressat(en): Gye, Frederick
Erwähnte Personen:
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Faust
Erwähnte Orte:
Erwähnte Institutionen: Covent Garden <London>
Hoftheater <Kassel>
Hoftheater am Kärntnertor <Wien>
Königliche Schauspiele <Berlin>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1852022215

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf Gye an Spohr, 16.02.1852. Gye beantwortete diesen Brief am 25.02.1852.

[1] Hier gestrichen: „ich”.

[2] Hier gestrichen: „in”.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Tina Köth (29.08.2018).