Autograf: nicht ermittelt
Druck: Heinrich Bellermann, August Eduard Grell, Berlin 1899, S. 127f.

Hochgeehrter Herr Musikdirektor!

Für Ihre freundliche Benachrichtigung, daß mein Oratorium am 25 d. M. gegeben wird1, sowie die gütige Einladung, die Leitung desselben zu übernehmen, sage ich Ihnen meinen besten Dank! So gern ich auch mein Oratorium einmal von Ihrem Gesangverein möchte singen hören, so kann ich doch jetzt durchaus nicht von hier abkommen. Ja, der Kurfürst will mir sogar meinen, mir contraktlich zugesicherten Ferien-Urlaub streitig machen, und ich habe bei den Gerichten Schutz suchen müssen.2 Es ist also nicht der Zeitpunkt, um Urlaub nachzusuchen und ich muß mich resignieren!
In Bezug auf die Besetzung der Solostimmen in meinem Oratorium habe ich vielleicht einmal geäußert, daß sie sich im Notfall mit vier Sängern besetzen lassen; aber das Werk gewinnt sicher sehr an dramatischer Wirkung, wenn für jede der Personen ein anderer Sänger vorhanden ist. Wenigstens dürfen Johannes und Jesus, und Petrus und Judas nicht von denselben Sängern gesungen werden, wenn nicht alle Illusion bei dem Zuhörer zerstört werden soll! – Ich freue mich aus Ihrem Briefe zu ersehen, daß Sie mit dem Orchester eine Vorprobe zu machen gedenken, da es mir in der That unmöglich scheint, daß das Werk mit einer einzigen Probe gut und fehlerfrei gehen könne. Einer besonders sorgfältigen Einübung bedarf auch die Arie der Maria mit den obligaten Instrumenten, Harfe, Violine, Horn u.s.w. – Auch der Erdbeben-Chor ist in der Orchesterpartie sehr schwer und kann nicht genau genug eingeübt werden, wenn er die beabsichtigte Wirkung erreichen soll. Doch bei den dort vorhandenen Kräften und unter Ihrer erfahrenen Leitung zweifle ich keinen Augenblick an dem vollkommenen Gelingen. – Mit vorzüglicher Hochachtung habe ich die Ehre zu sein

Ihr ergebenster Louis Spohr.

Autor(en): Biller, Carl August Friedrich
Spohr, Louis
Adressat(en): Grell, August Eduard
Erwähnte Personen:
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Des Heilands letzte Stunden
Erwähnte Orte: Berlin
Kassel
Erwähnte Institutionen: Singakademie <Berlin>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1852021315

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf einen derzeit verschollenen Brief von Grell an Spohr.

[1] Zur Aufführung vgl. [Gustav Bock], „Berlin. Musikalische Revue”, in: Neue Berliner Musikzeitung 6 (1852), S. 91f., hier S. 91.

[2] Vgl. Louis Spohr, Louis Spohr's Selbstbiographie, Bd. 2, Kassel 1861, S. 348ff. 

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (17.04.2015).