Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287
 

Mein theuerster, hochverehrtester Meister!

Endlich bin ich1 im Stande, Ihnen auch den ersten Theil des Oratoriums2, Partitur u. Clavierauszug, einzuhändigen. Das hat mir aber noch Angst und Sorge und Arbeit verursacht. Dieser Theil lag nämlich noch in Leipzig u.als ich ihn endlich nach mehreren Briefen erhielt, fehlte in der Mitte der Partitur (Blatt 31 bis 36) ein Stück, was ich also ergänzen mußte. Es wird noch keine Zeit verloren, oder die verlorne zu ersetzen sein, da die beiden Theile des Werks, Partitur u. Clavierauszug, getheilt gebunden sind, so daß auf der Stelle 4 Abschreiber thätig sein können. – Jetzt schon sehe ich mit zitternder Freude u. Besorgniß entgegen dem Zeitpunct, wo ich das Werk unter Ihrer Leitung ganz, vollständig u. mit voller Orchesterbegleitung hören soll Ach, Gott! wenn es nur glückt! Gebe der Himmel seinen Segen dazu, erhalte Sie noch lange, lange gesund u. mir Ihr Wohlwollen u. Ihre Güte.
Schließlich muß ich Ihnen doch das Unglück, das den Professor Kloß3 betroffen hat, mittheilen. Derselbe ist nämlich – so hat heute sein Sohn4 dem hiesigen Burgemeister5 erzählt – in einer Kirche in Nürnberg, wo er ein Orgelconcert gegeben hat, bei der letzten Piece, einem Gesangstück von dem Chor d.i. der obersten Emporkirche in die nächste oder in das Schiff, was nicht bestimmt angegeben worden, heruntergestürzt u. hat 3 Rippen gebrochen.6 Ob er in Lebensgefahr ist, weiß man nicht. – Das ist für die arme u. in der That sehr liebenswürdige Familie ein fürchterlicher Schlag. Was aus der werden soll, das wissen die Götter. Diese sitzt hier u. allem Anschein nach leidet sie am Nothwendigsten Mangel. Ich habe seiner Frau hier schon Musikstunden zu verschaffen gesucht um wenigstens Etwas zur Milderung ihrer zu thun, aber – es will auch nicht gehn. Ach, Gott! wenn es nur nicht so viel Unglück auf der Welt gäbe! – Entschuldigen Sie, daß ich meine Feder so laufen lasse.
Mit der Bitte, mir ferner Ihr Wohlwollen zu erhalten
bin ich mit unbegrenzter Liebe und
Verehrung

Ihr
dankbarster u. ergebenster
F. Kühmstedt

Eisenach am 1 Fbr
1852.

Autor(en): Kühmstedt, Friedrich
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Kloß (Sohn von Carl Kloß)
Kloß, Maria Adelheid
Roese, August
Erwähnte Kompositionen: Kühmstedt, Friedrich : Die Verklärung des Herrn
Erwähnte Orte: Eisenach
Nürnberg
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1852020140

Spohr



Der letzte Brief dieser Korrespondenz ist Kühmstedt an Spohr, 26.01.1852. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Kühmstedt an Spohr, 28.03.1852.

[1] Hier gestrichen: „auch“.

[2] Friedrich Kühmstedt, Die Verklärung des Herrn.

[3] Carl Kloß.

[4] Noch nicht ermittelt.

[5] August Roese.

[6] Vgl. „Dur und Moll“, in: Signale für die musikalische Welt 10 (1852), S 45ff., hier S. 46; „Dur und Moll“, in: ebd., S. 102-105, hier S. 103.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Wolfram Boder (12.08.2020).