Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Wien 21. Januar 852.
 
Euer Hochwohlgeboren!
 
Bei dem immer mehr um sich greifenden Verfalle der besseren Musik, ferner dem Umstande, daß in der gegenwärtig äußerst entarteten musikalischen Zeigewinde niemand studieren will, sondern jeder Tastenschläger sich ein Kompositeur nennt dem die Wahrheit, weil er sich nicht bemüth sie aufzusuchen wenig verlegen ist und er sie aus Unwissenheit nur nicht kennen will indem er durch seine anmassende Genialität mittelst gewisser Protektionen zu Stelle gelangt die nur Männer von wirklichen Verdiensten bekleiden sollen, (zu welcher Zahl leider auch ich gehörte) faßte ich den unabänderlichen Beschluß: mein ganzes „Seyn“ dem schwierigen Studium zu widmen, und mich möglichst auf dem Wege des strengen und reinen Satzes zu bringen. Wiewohl meine letzten zwei Lehrer (denn ich hatte deren früher viele die mich irre führten) Preyer und Sechter mit mir zufrieden zu seyn schienen, so fand ich demnach das Studium der reinen Wahrheit nicht so leicht, daß es mir an Spott und Verachtung, mich einen solchen rococo Studium gewidmet zu1 haben, von den sogenannten Genialisten die nur von der Phantasie (die sie doch gar nicht haben) sprechen, nicht fehlte, dieß werden Ew Hochwohlgeboren wohl auch schon selbst öfter erfahren haben. Ich meines Theils ließ mich nicht mehr irreführen, und nahme den Grundsatz an „daß die Phantasie, und wenn sie noch so groß ist, doch immer geregelt und geordnet werden muß wenn sie einen bleibenden Werth haben soll; dies ist an der Natur zu sehen die selbst dem Gesetze unterworfen ist; denn ein Narr hat auch eine Phantasie, seine Worte(?) sind aber verworren da er nicht die Macht hat sie zu ordnen.“
Die unbegränzte Hochachtung die ich von jeher für Ew Hochwohlgeboren hegte, ferner Ihre allbekannt Güte und Nachsicht gab mir den Muth, Hochdenselben mein entstehendes Bildchen, vertrauensvoll vorzuführen.
Ich habe unlängst ein kleines Werkchen „10. Fugen für die Orgel oder Physharmonika“ erscheinen lassen, welches ich dem Herrn v. Meyerbeer gewidmet habe; ihm scheinen aber solche rococo Arbeiten nicht zu behagen, wenigstens führt mich auf diese Vermuthung sein langes Stillschweigen; - doch – es ist geschehen.
Meine Bitte geht dahin: Ew Hochwohlgeboren wollte die Gewogenheit haben, mir gütigst zu gestatten, besagtes Werkchen (welches ich beifolgen ließ) Hochdenselben verehren zu dürfen. Es ist diese Verehrung gewiß keine verächtliche Anmassung, sondern ein schwacher Beweis der allzugroßen2 Hochachtung mit der ich die Ehre habe stets zu verbleiben
Ew Hochwohlgeboren
 
ergebenster JohBeranek
Dom-Kapellmeister.
 
Wallenstrasse No 265.

Autor(en): Beranek, Johann de Deo
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Meyerbeer, Giacomo
Preyer, Gottfried von
Sechter, Simon
Erwähnte Kompositionen: Beranek, Johann de Deo : Fugen, Org
Erwähnte Orte:
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1852012144

Spohr



Spohr beantwortete diesen Brief am 01.02.1852.
 
[1] „zu“ über der Zeile eingefügt.
 
[2] Hier drei(?) Buchstaben gestrichen.
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (12.06.2018).