Autograf: Universitätsbibliothek Kassel – Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Hochverehrtester Herr

Jahrelang war es mein sehnlichster Wunsch, den Mann, dessen herrlichen Werken ich so viele Kunstgenüsse zu verdanken habe, ein schwaches Zeichen meiner Verehrung darzubringen.
Im Vertrauen auf Ew. Hochwohlgeboren gütige Nachsicht habe ich es endlich gewagt, beiligendes Lied mit der Absicht zu componiren, deshalb mit Ihrer gütigen Erlaubniß Ihnen widmen zu dürfen.
Wie sehr mich diese Auszeichnung beglücken u aneifern würde bedarf ich wohl nicht erst zu sagen doch fühle ich es gar wohl, wie so gering meine Kräfte u wie sehr ich dabei auf Ihre gütige Nachsicht rechnen muss.
Da ich als ganz Unbekannter vor Ihnen erscheine, erlaube ich mir einige mich näher bezeichnende Daten hier beizufügen.
Ich bin der Sohn des in Darmstadt lebenden seit 20 Jahren leider geisteskranken Kammermusikus Pohl, der seiner Zeit auf der Glasharmonika als Künstler sehr ehrenvoll genannt wurde. Erst im 21t Jahre war es mir durch Verhältnisse gestattet, mich meinem Lieblingsstudium, der Musik, ganz zu widmen. Es glückte mir nach vielen Schiksalen in Wien bei Sechter Composition zu studiren, der mich stets, ich darf es wohl sagen, zu seinen fleißigsten Schülern rechnete. Seit einigen Jahren wurde mir die Organistenstelle an der protest. Kirche übertragen u ich habe seit meinem geringen Wirken in der Kunst besonders viel geschrieben für Orgel, Chöre für diese Kirche, 2 Messen, eine größere Anzahl Lieder, Männerchöre etc. etc.
Davon sind bis jetzt erschienen:
op. i, 12 Präludien & 1 Postludium meinem verehrten Pathen Dr Rinck in Darmstadt gewidmet (bei Schott)
op. 2, 12 Präludien ebenfalls für Orgel meinem Meister Sechter Hoforganist gewidmet
op. 3. 6 Lieder, Herrn Meyerbeer k.k. K. M. D. gewidmet der mir mündliche und schriftlich darüber ein mich sehr ehrendes Lob ertheilte. (bei Haslinger
op. 4. Trauermarsch zu 4 Händen für Piano, der nebst op. 3 ganz besonders bei Künstlern und Laien die ehrenvolle Aufnahme fand u fortwährend gekauft wird. (bei Haslinger
op. 5. Waldlied (bei Diabelli
op. 6. Serenade zu 4 Händen für Piano, Herrn Moscheles gewidmet, der mich mit einem sehr aufmunternden Schreiben beglückte. (bei Diabelli
op. 7. Caprice für Piano über ein altes Nachtwächterlied (bei Diabelli
op. 8. An die Heimatberge, für Alt Frl. Bury gewidmet (bei Diabelli
op. 9. Nocturne für Piano (bei Mechetti erst kürzlich erschienen findet sehr schnellen Absatz.
Sollten Ew. Hochwohlgeboren in beiligendem Liede ein ernstes u ehrliches Streben für die die erkennen, wäre es mir die wirksamste Aufmunterung, auf meiner Bahn rüstig vorwärts zu schreiten.
Unter meinen Schülern, deren ich eine große Anzahl zähle, befindet sich auch Osk. v. Montlong dessen Mutter Ihnen einige seiner Compositionen zur gefälligen Beurtheilung übersandte.1 Graf Laurencin spricht mit Entzücken u innigster Verehrung von seinen bei Ihnen in Prag verlebten Stunden.2
Doch ich muß, um Ihre Geduld nicht zu mißbrauchen, zu Ende eilen.
Ihrer gütigen Nachricht vertrauend wage ich nochmals, beiliegendes Schreiben u meine warm empfundene Bitte Ihrer väterlichen Aufnahme kindlich vertrauensvoll zu empfehlen.
Möchte es mir bald vergönnt sein von Ew. Hochwohlgeboren durch einige mich so sehr beglückende Zeilen beehrt zu werden wofür Ihnen im Voraus den innigsten tiefgefühltesten Dank abstattet

Ew. Hochwohlgeboren
hochachtungsvoll ergebenster
Pohl.
pr. adr. An. C.F. Pohl, Organist u Musiklehrer Wien, Stadt,
Currengasse 405, 4t Stab.

Wien 6t Jan. 52.



Spohr beantwortete diesen Brief am 11.01.1852.

[1] Auguste von Montlong an Spohr, 27.03.1851.

[2] Vgl. Ferdinand Peter Laurencin an Spohr, 10.11.1858; [Ferdinand Peter] Laurencin, „Ein Gespräch mit Spohr“, in: Blätter für Musik, Theater und Kunst 5 (1859), S. 355.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (20.07.2024).