Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

St. Georgen, Amt Hornberg, den 21ten Dezember 1851.

Hochwohlgeborner, Hochzuverehrender Herr!

Es ist nun ein Jahr verflossen, seit Sie die Güte hatten, mir ein Zeugniß zum Behuf einer Unterstützung auszustellen. Das Großherzogl. Ministerium des Innern hat meinem Gesuch schon im Monat Mai d.J. entsprochen, und mir eine jährliche Unterstützung von 200 Fl. zugesichert. Allein der Herr Präsident verweigert die endliche Erledigung dieser Sache aus dem, mir persönlich mitgetheilten Grunde, daß die Regierung musikalische Talente nicht mehr unterstütze, weil noch aus keinem, der eine Solche erhielt, etwas geworden sei. Uebrigens gebe ich die Hoffnung auf einen besser'n Ausgang noch nicht auf. Dagegen habe ich vom Verwaltungs-Ausschuß der Mozartstiftung in Franckfurt die Nachricht erhalten, daß ich als Bewerber um das erledigte Stipendium aufgenommen sei, und erwarte nun jeden Tag die Aufforderung zur Ablegung meiner Prüfungs-Arbeiten. Vielleicht lächelt mir hier das Glück.1
Zugleich bin ich so frei, Ihnen als Resultat meiner theoretischen und praktischen Bemühungen beiliegende Ouvertüre zur gefälligen Durchsicht und Beurtheilung vorzulegen. Sie werden es mir gewiß nicht verübeln, wenn ich Sie um eine spezielle Beurtheilung – und bestünde diese auch nur in rothen Strichen – bitte; denn nach meiner Ansicht bildet die Ouvertüre die Grundlage, auf welcher die Oper gebaut werden muß, die Ouvertüre muß sonach vorerst Fehlerfrei sein, ehe mit der Oper begonnen werden kann, weil diese aus jener sich mit der strengsten Consequenz entwickeln muß. Wie sich die einzelnen Situationen herausentwickeln müssen, darüber habe ich verscheidene Versuche gemacht, die mich von der Möglichkeit der Ausführung dieser Idee überzeugt haben. Das Nähere über diese Sache habe ich in der Beilage2 besser auseinandergesetzt.
Meine Privat-Verhältnisse stehen noch immer schlimm, und machen mir das Bewustsein, daß ich ohne gute Ausbildung, – auch mit dem möglichsten Privat-Fleiß – es wohl schwerlich oder gar nicht zu einem gewissen Höhepunkt der Kunst bringen werde, zu einer drückenden Qual, nammentlich seit mir im Oktober d.J. mein Forte-Piano wegen einer Studenten-Schuld von hartherzigen Menschen versteigert wurde. Mein ganzer Instrumenten-Reichthum ist eine alte Guitarre, die mir geschenkt worden ist. Auch fehlt mir hier jede Gelegenheit Musik zu hören.
Indem ich Sie ersuche, mit die Ouvertüre mit der erbetenen Beurtheilung, wieder senden zu wollen, empfehle ich mich Ihrer fernern Gewogenheit und versichere Sie meiner ausgezeichneten Hochachtung und Dankbarkeit.
Euer Hochwohlgeboren unterthänigster Diener

F. Keppner

Autor(en): Keppner, Franz Joseph (Sohn)
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Aberdeen, George Hamilton Gordon
Addner, Anders
Erwähnte Kompositionen: Keppner, Franz Joseph : Ouvertüre (1851)
Erwähnte Orte:
Erwähnte Institutionen: Akademie der bildenden Künste <Prag>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1851122146

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf einen derzeit verschollenen Brief von Spohr an Keppner. Keppner sandte bereits am Folgetag seinen nächsten Brief. Spohr beantwortete beide Briefe am 28.12.1851.

[1] Zu dieser Ausschreibung – das Stipendium ging an Max Bruch – vgl. Ulrike Kienzle, Neue Töne braucht das Land. Die Frankfurter Mozart-Stiftung im Wandel der Geschichte (1838-2013) (= Mäzene, Stifter Stadtkultur 10), Frankfurt am Main 2013, S. 105-129.

[2] Derzeit verschollen.

Kommentar und Verschlagwortung, sofern in den Anmerkungen nicht anders vermerkt: Wolfram Boder (26.09.2019).