Autograf: Robert-Schumann-Haus Zwickau (D-Zsch), Sign. Sch. 3853-A2

Cassel den 27sten
August 1851.

Hochverehrter Herr Pfarrer,

Nach der Rückkehr von meiner Ferienreise, die sich dieses Jahr bis Mailand und Venedig erstreckte, fand ich Ihr geehrtes Schreiben nebst den Beylagen vorliegen. Da sich aber während meiner Abwesenheit die Geschäftscorrespondenz sehr angehäuft hatte und erst beseitigt werden mußte; da auch die Theaterarbeiten sogleich wieder begannen, so kann ich erst heute dazu gelangen, Ihren lieben Brief zu beantworten. Lassen Sie mich zuerst meine Freude darüber aussprechen in Ihnen einmal wieder einen der wenigen Musikfreunde kennen gelernt zu haben, die sich von meiner Musik angezogen fühlen, sie näher kennen lernen und sich dann dauernd dafür interesiren. Es ist mir stets eine große Beruhigung zu sehen, daß ich meinen Pfad doch nicht ganz allein wandele sondern dann und wann eine verwandte Seele finde, die mich versteht.
Ihren Wunsch, daß ich das Vater-unser und die Einsetzungsworte für den Altargesang der lutherischen Kirche in1 Musik setzen möge, hatte ich den besten Willen zu erfüllen. Nachdem ich aber das, was Sie mir zur Ansicht senden, näher geprüft habe, halte ich es für besser, davon abzustehen; denn die Nro 3 aus2 der Nam’schen Agenda finde ich so einfach schön, daß ich fest überzeugt bin, nichts besseres,3 ja warscheinlich nicht einmal so gutes und einfach zweckmäßiges zu Stande bringen zu können. Entschuldigen Sie es daher gütigst, wenn ich Ihnen beyliegend die Musik zurücksende, ohne etwas von mir beyzulegen.
Ihre Vermuthung, daß ich das Oratorium „des Heilands letzte Stunden” bald nach der „Jessonda” geschrieben haben müsse, trifft doch nicht zu. Jessonda ist aus dem Jahr 1822, das genannte Oratorium vom Jahr 34. Zwischen ihnen liegen von ähnlichen größern Sachen: „der Berggeist 24, „die letzten Dinge” 26, „Pietro von Abano, 27, „Vater-Unser” 29, und4 „der Alchymist” 30. Im Jahr 38 folgt dann noch das „Vater-Unser” für Männerstimmen und 40 „der Fall Babylons”. Außerdem habe ich noch einige kleinere Kirchenkompositionen geschrieben und dann im Jahr 44 die Gesangskompositionen mit der Oper „die Kreuzfahrer” beschlossen.
Indem ich schließlich noch den Wunsch ausspreche, Sie recht bald einmal wieder hier zu sehen, oder wenigstens brieflich etwas von Ihnen zu erfahren, unterzeichne ich mit vollkommenster Hochachtung

Ihr
ergebenster
Louis Spohr.



Dieser Brief ist die Antwort auf Weber an Spohr, 04.07.1851. Der nächste Brief dieser Korrespondenz ist Weber an Spohr, 03.04.1852.

[1] Hier ein Wort gestrichen.

[2] „aus” über der Zeile eingefügt.

[3] Hier gestrichen: „so”(?).

[4] „und” über der Zeile eingefügt.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (15.08.2017).