Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Hochwohlgeborner Herr,
Hochgeehrtester Herr Capellmeister!

So wird mir denn abermals das Glück zu Theil Ihnen, dem auch von mir hochgefeierten Meister der Tonkunst, mit einem schriftlichen Worte mich nahen zu dürfen. Wir sehr bin ich Ihnen Herr Capellmeister, zu Dank verpflichtet, daß mir die Erlaubniß zu Theil ward Ihnen meine Aufwartung machen zu können. Durch die mir gewordene ausgezeichnete liebevolle Aufnahme werden jene Stunden mir unvergeßlich bleiben. Ja sie sind für mich heilige Stunden geworden, weil meine unbegrenzte Liebe u. Verehrung zu Ihren Compositionen durch Ihre persönliche Bekanntschaft nun noch mehr an Klarheit, Innigkeit u. Stärke gewonnen hat. Darum muß auch ich mit den Worten des jüdschen Geschichtsschreibers Josephus ausrufen: „Ich sehe Sie, u. höre nicht auf Sie zu lieben.“1 Diese meine Liebe zu Ihnen, den Sie so oft durch den allgewaltigen Zauber Ihrer gediegenen genialen Tondichtungen mich beseligten, wird auch ferner mich durchs Leben begleiten. Ach, was habe ich Ihnen Alles zu danken! Einstens in jenen Leidenstagen meiner zweijährigen Gefangenschaft auf der Citadelle zu Magdeburg, woselbst ich wegen Theilnahme an der Burschenschaft zu Jena meine Freiheitsstrafe als Staatsgefangener abbüßen mußte2, waren es allein Ihre classischen Compositionen, welche meinem tiefgebeugten sorgenvollem Gemüthe Trost, Frieden u. Hoffnung gaben. Da studirte ich hinter einsamen Kerkermauern Ihre Werke, denen die Gottheit den Stempel der Meisterschaft aufgedrückt, und ward dadurch mehr u. mehr Ihr Jünger, dessen schönste Lebensaufgabe nun ist bei meinem sonst stillen Wirken als Verkündiger des göttlicen Werkes, Ihre Werke in der Welt mehr u. mehr zu verbreiten und zur Anerkennung zu bringen, damit Ihr Andenken überall stets im Segen bleiben. Geruhen Sie daher, hochgeehrtester Herr Capellmeister, für die Beseligung, welche ich mich füglich aus Ihren unsterblichen Werken schöpfte, u. für die mir zu Teil gewordene Ehre Sie persönlich zu kennen, meinen kindlichen tief gefühlten Dank entgegen zu nehmen. Möge Gott noch recht lange seine schützende u. segnende Hand über Ihr uns so theure Leben halten, auf daß der 5. April recht oft noch in seiner Kraft u. Schöne an Ihrem Lebenshimmel aufsteige. Wie glücklich werden wir Ihre Jünger uns preisen u. der Gottheit danken, wenn dann noch manches Meisterwerk aus dm reichen Schatze Ihres so och begabten Geistes hervorgeht, das eine neue kostbare Perle in jenem Strahlenkranz sein wird, womit Sie schmücken Ihren berühmten Namen.
Bei meiner Anwesenheit in Ihrem Hause gestatteten Sie, Herr Capellmeister, als ich die Bitte wegen einer Composition des Vater Unsers u. der Einsetzungsworte wagte, Ihnen die darauf Bezug habende Noten schicken zu dürfen. Ich erlaube mir daher dieselben mit dem ergebensten Bemerken zu übersenden: ob Sie nicht so gütig wären mir durch einige Worte anzuzeigen, bei welchem Verleger Sie das Vater Unser herauszugeben gedencken, damit ich in der Zeit dem Consitorium zu Magdeburg davon auch Mittheilung machen kann. Ich glaube das Consistorium wird sehr gern Ihre Composition den sämtlichen Geistlichen der Provinz Sachsen zur Anschaffung empfehlen. Sollten Sie das nicht wollen, so werde ich eben nur unter Ihrer Erlaubniß für die Herausgabe sorgen.
Für das mir geschenkte Oratorium sage ich Ihnen nochmals meinen herzlichsten Dank; ich gedencke dasselbe vor Ostern des künftigen Jahres durch meinen Singverein hier zur Aufführung zu bringen, und auch dafür sorgen, daß es in Halle gegeben wird. Es war für mch sehr belohnend u. interessant, da mir der Schlußchor von Schicht „aus dem Ende des Gerechten“3 wir drücken dir die Augen zu zur Hand war, eine Vergleichung mit dem Schlußchor Ihres Oratoriums anstellen zu können. Welche eine Erhabenheit in Ihrer Composition, u. welch‘ eine ausgezeichnete Stimmen-Führung gegen die Schichtsche Composition. Als wahre Meisterstücke in Ihrem Oratorium erscheinen mir 1. die Verurtheilung des Herrn, nämlich wo Philo u. die Jungen auftreten. 2., im Anfang des 2. Theiles der Chor der Freunde da Jesu. 3., das Quartett, in seiner Todesnoth Dich zu uns etc. 4., der Chor welch drohend Ungewitter u. 5. der Schlußchor wir drücken dir die Augen zu. Irre ich nicht in Betreff der Zeit, wo dieses Oratorium geschrieben ward, so muß dies bald nach Vollednung der Jessonda geschehen sein; denn darauf führt mich die gleiche Seelenstimmung, welche sich auch wieder in diesem Oratorium ausspricht. Ich würde Ihnen, Herr Capellmeister, sehr zu Dank verpflichtet sein, wenn ich überdieses Faktum einigen Aufschluß erhielte; weil es mir sehr nützlich sein wird zu meinen Werke, das ic über Ihre Compositionen herauszugeben gedenk.
Sehr freue ich mich auf das baldige Erscheinen Ihres 5. Trios für Pianoforte. Ich habe das Larghetto im ersten Trio pag. 16; dann das Larghetto in 2 Trio pag. 20; ferner im 3. Trios das Andante / Variationen pag. 16-27 u. endlich im 4 Trio das Poco Adagio pag. 27-31 für 4 Hände gesezt, da gerade diese Trios so große Verehrer hier gefunden haben, und von mir so gern gespielt werden. Mir geht es mit Ihren Compositionen wie dem seligen Herrn v. Breitenbach, der Ihre herrlichen Streich-Quartetten für Clavier und eine Violine arrangirt hatte, u. dieselben auf seinen berühmten Reisen bis Rom mit seiner Violine in der Tasche stets mit sich trug.4
Sie werden, Herr Capellmeister gütigst entschuldigen, daß ich nicht eher die beifolgenden Noten Ihnen geschickt habe; aber so viele Arbeiten in meinem Amte, / die Vorarbeiten zu der baldigen Aufführung der letzten Dinge am 16. Juli hinderten mich daran.
Indem ich Sie von ganzem Herzen grüße u. Ihnen meine innigste Hochachtung bezeige, habe ich die Ehre mich nennen zu dürfen

Ew. Hochwohlgeboren
innigst dankbarer Verehrer
Heinrich Weber Pfarrer
u. Schul-Inspector.

Schkortleben bei Weissenfels
in der Provinz Sachsen den 4. Juli
1851.



Spohr beantwortete diesen Brief am 27.08.1851.

[1] Zitat noch nicht ermittelt.

[2] Noch nicht ermittelt.

[3] Setzung der Anführungszeichen so im Autograf.

[4] „Der alte Hauptmann“ (aus den Büchern der Davidsbündler), in: Neue Zeitschrift für Musik 6 (1837), S. 23.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (15.08.2017).