Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Meiningen, d. 16/6 = 51.

Hochgeehrtester Herr und Meister!

Jahre sind dahin geschwunden seitdem ich nicht an Ew. Wohlgeboren geschrieben. Ihr Andenken, die Erinnerungen an die Lectionen, deren ich mich von Ihnen zu erfreuen hatte, sind zu lebhaft in mir eingegeben und würden mich undankbar erscheinen lassen, ohne Ew. Wohlgeboren bei meinem Scheiden aus Deutschland ein Lebewohl so wie meinen nochmaligen Dank aus dem Grunde des Herzens zuzurufen. –
In 3 Wochen verlasse ich Meiningen, wo ich mich jedoch zuvor erst mit einem geliebten Gegenstand verbinde, dessen Wahl meine Eltern nur billigen, – überhaupt sich mein Vater jetzt mit mir ganz ausgesöhnt, da ich denselben bewiesenm daß es mir wahrer Ernst war ein Mann zu werden, der vor die Augen der Welt in jeder Beziehung gerechtfertigt dasteht und dessen eifrigstes Bestreben sein wird, seinem lieben Meister sich stets würdig zu zeigen. – Die Veranlassung, Deutschland zu verlassen, war hauptsächlich mein Bruder Louis, der schon seit einigen Jahren sein Asyl in Amerika gefunden und mir so günstige Resultate /namentlich über Musik) mitgetheilt1 daß ich nicht länger zögern will, auch mein Glück dort zu versuchen, indem meine Stellung in Meiningen sehr traurig ist und ich einem geliebten Weib nur ein sehr dürftiges Loos bereiten könnte, was ein Wesen, wie meine gute Karoline, nicht verdient, da dieselbe so viel Muth und Charcter besitzt, mir zu Liebe ein Opfer zu bringen und ihre Angehörigen, deren Liebling sie ist, zu verlassen. – Gern würde ich meine Reise so eingerichtet haben, Ihnen, verehrtester Herr und Meister, mündlich Lebewohl zu sagen, doch da meine Braut viele Bekannte und intime Freundinnen in Würzburg hat, so muß ich schon ihr zu Liebe über Würzburg reisen und2 sonach von meinem lieben hochverehrten Herrn Lehrer schriftlich Abschied nehmen. Nah oder fern – ewig unvergeßlich wird mir Ihr Bild so wie Ihre Werke sein –; möchte der mächtige Geist der Töne, der sie umgiebt, in meinem Innern nachhallen und mir das treuste Vorbild sein; dann würde ich mich für einen glücklichen Sterblichen halten. – Ihre Werke, die jetzt meine Lieblingsbeschäftigung sind, lassen mich so recht Ihre ganze Größe erkennen und auch meine liebe Braut schwärmt am meisten für Spohr Ihre Kompositionen, namentlich ist sie ganz eingenommen von Ihren wunderschönen Trio’s für Piano, Violine u. Violoncell. Am Schluß dieser Zeilen wagen ich noch die Bitte, mir die Freundschaft gütigst erzeigen zu wollen und mir einige Empfehlungsbriefe nach dieser und jener Stadt in Amerika gefälligst zuzusenden. Möge Ihnen, geliebter Meister, der Himmel noch ein langes Leben und fortdauernde Gesundheit schenken und Sie Ihrem treu ergebenen Schüler ein kleines Plätzchen in Ihrem Herzen gönnen, darum bittet von ganzem Herzen

Ew. Wohlgeboren
ganz ergebenster Schüler
C. Mahr.

Autor(en): Mahr, Johann Carl Sebastian
Adressat(en): Mahr, Louis
Erwähnte Personen: Mahr, Karoline
Mahr, Louis
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte: Würzburg
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1851061460

Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Mahr an Spohr, 18.09.1844. Spohr Antwortbrief ist derzeit verschollen.

[1] „mitgetheilt“ über der Zeile eingeführt.

[2] Hier gestrichen: „muß“.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (06.05.2022).