Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Thal den 24 Mai
1851

Geehrtester Herr Pathe!

Wenn ich mich mit der Bitte um eine kleine Unterstützung an Sie wende, so können Sie gewiß auch fest überzeugt sein, daß nur die größte Noth mich veranlaßt zu dieser Bitte. Wenn auch gerade nicht im Wohlstand lebend, hatten wir doch auch nicht mit Nahrungssorgen zu kämpfen, und konnten bei den geringen Gehalt meines Gatten doch anständig leben. Da trat leider! eine Versetzung des Oberbeamten ein, und Alles wurde dadurch anders. Der frühere Amtmann, wahrscheinlich aus Rücksicht auf unsre zahlreiche Familie wendete mein Gatte bedeutende Nebenverdienste zu, da er wohl einsehen mochte, daß wir, ohne Schulden zu machen, sonst nicht auskommen würden, da in den Feldgegenden, überhaupt die Lebensmittel nun sehr theuer sind. Da traf das Unglück vor einigen Jahren daß er von hier versetzt wurde und es kam ein Mann an seine Stelle, der gerade das Gegentheil von ihm wahr. Alle die Nebenverdienste entzog er nach und nach und ich bin der festen Überzeugung, daß, wo es in seiner Macht stände, er gewiß mein Gatte von Amt und Band(?) brächte; doch von dieser Seite, kann er wenigstens ihn nichts anhaben, da er die Arbeiten immer pünktlich macht, und er da auf keine andre Weise etwas zu sagen hat. Durch den Verlust der Nebenverdienste hat er uns freilich auf die empfindlichste Weise getroffen, und wir haben seitdem alles was wir uns seither erspart und geschafft zusetzen müßen, theils haben wir es verkaufen, theils verpfänden müßen aber nun ist auch alles dahin und Mangel und Noth, oft an dem Nothwendigsten eingekehrt. In dieser traurigen lage wollte ich mich an Sie mit der Bitte wenden sich doch bei Ihrer Gemahlin zu wenden, ob dieselbe mir nicht mit abgelegten Kleidungsstücken für die Kinder zu unterstützen vermögen, wofür ich gewiß dankbar sein würde.
Unerklärbar ist es, wie ein Mann an einer Familie so handeln kann, da von meines Gatten Seite ihm auch gar nichts in den Weg gelegt worden ist, das eine solche Handlung entschuldigen konnte. Jedermann kennt das Verhältniß hier und beklagen uns, aber helfen kann ja doch keiner; er ist ein stolzer, geiziger und habsüchtiger Mann, darin besteht sein ganzer Character; Worüber sich Andre freuen, daß die Kinder immer ganz und reinlich gekleidet sind, wie es unserm Standte doch auch zukommt, und mit dem seinigen in eine Stule1 gehen, Scheint ihm zu mißfallen, so wie er sich ausgesprochen haben soll, wir lebten gut, waß übrigens die Andern so gut wissen, daß es nicht der Fall ist. Denn ein Pfund Fleisch auf 10 Personen ist gewiß nicht zum Überfluß gewesen, jetzt trägt es uns zwar kaum alle Wochen, oftmals Sonntags nicht einmal mehr. Bei alle den klagen wir doch nicht und müßen die Kinder oft mit kleinen Stücken brod und Kartoffeln und Salz vorlieb nehmen, so sind sie gottlob! doch gesund und gedeihen; sowohl am Körper wie an Geist.2 bin ich zwar manchmal der Verzweiflung nahe, so richte ich mich doch auch in dem Glaube wieder auf, daß Gott keinen verläßt, und – daß es ja auch einmal wieder anders werden kann. Doch verzeihen Sie, daß ich Ihnen mit einer so langen Klageschrift beschwerlich falle, wollen Sie meiner Bitte freundlich denken so fügen Sie bei meiner Adresse bei, abzugeben auf den Heiligensten, da mein Gatte nicht weiß, daß ich mich mit gegenwärtigen an Sie wende, den er will nicht, daß ich jemanden unsre Lage andenke; doch die Liebe zu den Kindern läßt mich nicht anders handeln.

Dero
ergeb.
Pathe Auguste Wohlgemuth

Autor(en): Wohlgemuth, Auguste
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Wohlgemuth, Louis
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte: Thal bei Ruhla
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1851052430

Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Wohlgemuth an Spohr, 28.03.1849. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Wohlgemuth an Spohr, 24.05.1852.

[1] Sic! rechte: Schule?

[2] Hier gestrichen: „Ich [???]“.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (10.05.2022).