Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Dordrecht den 2t Ap.
1851.

Lieber Herr Kapellmeister!

Empfangen Sie zu Ihrem Geburtstage meine allerherzlichsten Glückwünsche! Möge der Himmel Sie in seinem besonderen Schutz nehmen und möge er Sie besonders beschirmen gegen alle die Drangsale die die politischen Verhältnisse in Deutschland und besonders im armen Hessenlande hervorzurufen haben. ich hoffe dass Sie so wenig möglich davon berührt sind und daß man die Hochachtung die Ihnen die ganze civilisirte Welt zollt und die selbst Barbaren dem Genius nicht veragen, daß man dieß Ihnen nicht versagt hat und daß Sie nicht allein von allen Beschwerden und Unannehmlichkeiten verschont, sondern auch von aller näheren Berufung damit, bewahrt geblieben sind. Das darf ich Ihnen sagen daß sich das brave hessische stets die allgemeine Achtung und Theilnahme im Auslande erworben hat u daß ihn durch die Vorsehung früher oder später sicher Gerechtigkeit u Genugthuung wiederfahren wird. Welche Gefühle ich hege – ich mag sie nicht aussprechen. Mein Sinn Sie von meiner ganzen Theilnahme überhaupt, nicht allein für Sie, dem ich so gern Ruhd u Friede und eine heitere, sorgenlose Umgebung wünschte, mit all der Freude worauf Ihr thätiges Leben die gerechtesten Ansprüche machen kann, sondern auch für das arme Hessische Volk – für ganz Deutschland. Wie viel die Kunst u die Künstler von solchen Umständen zu leiden haben, kann ich mir denken und sie haben meine ganze Simpathie.
Hier geht es recht gut. Außer meiner größten Sorge, die, dass ich hier für mich selbst keine musikalische Nahrung habe, ist mein Wirken nicht fruchtlos geblieben. Alle Musikalischen Vereine blühen und gedeiehen immer besser und ich geniße nicht allein die Liebe u Achtung von denen, womit ich in nähere Berührung stehe, sondern auch getrost mag ich es sagen, von der ganzen Stadt. Sie sehen lieber Herr Kapellmeister daß Ihr Vorbild, daß ich stets vor Augen habe, hier wohlthätig wirkt. Zum Componiren kann ich jetzt wegen meinen sonstigen vielfachen Beschäfftigungen weniger kommen, doch ist kürzlich ein Violin Solo von mir in Amsterdam herausgekommen1 und eine neue Ouverture habe ich neulich in Rotterdam in den Philharmonsichen Concerte mit gutem Erfolg selbst dirigirt.2 Im Algemeinen geht die Musik hier im land gut voraus und was mich besonders freut, daß ist, daß man Ihre Werke immer lieber gewinnt. In Rotterdam ist im vergangenen Winter die Weihe der Töne 2 mal ausgeführt.3 Einmal habe ich mitgewirkt und ich kann nur das größte Lob über die Ausführung sagen. Auch die 2te Sinfonie4 habe ich gehört und auch diese ist vortrefflich gegangen. Noch kürzlich hat man Ihre Doppelsimphonie5 aufgeführt. allein ich war verhindert sie beizuwohnen. In Amsterdam hat man ebenfalls in diesem Winter die Weihe der Töne aufgeführt, in dem Cäcilienconcerte6 u in Felix Meritis7 und außerdem viele andere Werke von Ihnen. In Utrecht Babylon’s Fall8, in dem Haag die letzten Dinge und wir führen aus, was wir von Ihnen besitzen.
Es freut mich auch ganz besonders das die Werke meines geliebten meisters auch hier im Lande immer zugänglicher und immer mehr und mehr ihren wohlthätigen Einfluß ausüben.
Gar gern möchte ich wissen was Sie in der letzten Zeit componirt haben und womit Sie sich gegenwärtig beschäfftigen? Wohl möchte ich einen schönen Gegenstand für Ihr großes Geniue, wo Sie allen Reichthum Ihrer unerschöpftlichen harmonie ausschütten und Ihre große Seele so recht aussprechen könnten: Ein Werk über die Worte „Glück, Liebe, Hoffnung“. Im ersten Theil könnte religiöse Musik sich aussprechen, der 2te ein Adagio sein, so wie es nie ein Componist vor Ihnen hat schreiben können u der 3te Satz die freudige, tröstende Hoffnung geben. Selbst ein 4te Satz könnte alle die früheren Theile u Themen mit einander vereinen. O! thun Sie es, lieber Herr kapellmeister. Der Gegenstand ist so ganzh Ihrer großen Seele würdig u ich wüßte außer Ihnen keinen Componisten, der ihn so würdig aussprechen könnte. Was thuts ob ich den Rath gegeben, kann doch ein jeder darauf kommen, aber keiner würde so wie Sie ein solches Werk unternehmen dürfen. O, thun Sie es! –
Von einer Sängerin9 aus dem Haag die hier öfter singt und die eine große Verehrerin von Ihnen ist, bin ich ersucht ob es nicht möglich sie folgende Arien aus Cassel kommen zu lassen als:
Arie aus Faust No 5. Rec. „Die stille Nacht entweicht“
Arie au s Pietro von Abano No 7. „Aus dunklen Wolken flammen Blitze“
Bin ich nicht indiscret hochverehrtester Herr Kapellmeister, diese von Ihnen zu wünschen u sollte ich Ihnen nicht zu viel Nähe verursachen, wenn Sie die Partitur mit Stimmen durch irgend Jemand ausgeschrieben ließen u dieser sie mir unter meiner Addr. u mit Postvorschuß an mich sendete, so würden Sie die Sängerin und mich gar sehr verpflichten. Sollten Sie hingegen den mindesten Grund haben und sie zu verweigern, so stehe ich bescheiden von meiner Bitte ab.
Eben so bitte ich Sie lieber Herr Kapellmeister daß Sie meine Ouverture Ihnen gewidmet, durch Jemand der es nöthig hat, besonders jetzt wo die Verdienste für die Musiker dort sehr karg sein müssen, gefälligst ausschreiben lassen und dieser mir durch einen Brief mit Postvorschuß seine Rechnung einsende. Ich habe die Partien für den dortigen Concertfonds bestimmt und solten Sie auch jetzt keinen Gebrauch, auch überhaupt niemals Gebrauch davon machen, so macht das nichts. ich halte zu viel von Cassel und besonders von denen die ich im Orchestre kenne, um ihnen nicht ein geringes Zeichen meiner Zuneigung zu geben.
Wenn ich Ihnen nicht schon früher meine Theilnahme schrieb, so geschah es allein aus der Besorgnis, daß ich unbesonnen geschrieben hätte. Zweifeln Sie nicht an meiner Theilnahme an den dortigen Erzeugnissen. Ich flehe fortwährend für Ihr Wohl, für Hessens und Deutschland Wohl zum Himmel. Möchte er solche inbrünstige Bitten gnädigst erhören!
Noch bitte ich daß Sie mich Frau Kapellmeister allerbestens empfehlen u herzliche Grüße an Concertmstr. J. Bott sagen möchten u wollen Sie gütigst übersehen wenn ich einfach Herr Kapellmeister schreibe? Ich bin so daran gewöhnt das geht mir dieß so recht u fließend aus dem herzen, das es unwillkühlich geschieht. Niemand in der Welt aber kann dabei mehr hochachtung, mehr Liebe u treue Ergebenheit für Sie fühlen, als ich. O, ich wollte das ich reich wäre, um in Ihrer Nähe wohnen zu können, um Ihnen immer u immer sagen zu können, wie sehr ich Sie verehre!
Leben Sie wohl Herr Kapellmeister u behalten Sie mich auch ein wenig lieb.

Ihr getreuer
Ferdin. Böhme



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Böhme, 11.05.1850. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Böhme an Spohr, 03.04.1852.

[1] Vgl. Rez. „Ferdinand Böhme, Divertissement pour Violon“, in: Caecilia <Utrecht> 8 (1851), S. 37.

[2] Vgl. „Rotterdam, 2 Maart 1851. Tiende concert der Philharmonische Vereenigung op 25 Februarij“, in: Nieuwe Rotterdamsche courant 04.03.1851, S. [1].

[3] Vgl. „Rotterdam. Eruditio Musica“, in: Caecilia <Utrecht> 8 (1851), S. 58.

[4] Op. 49.

[5] Irdisches und Göttliches im Menschenleben.

[6] Vgl. „Amsterdam. Twintigste Concert der Maatschappij Caecilia“, in: Caecilia <Utrecht> 7 (1850), S. 205ff., hier S. 206.

[7] „[Het negende Concert der maatschappij Felix Meritis]“, in: Algemeen Handelsblad 27.01.1851, S. [4]; „[Het negende Concert van Felix Meritis]“, in: Caecilia <Utrecht> 8 (1851), S. 46.

[8] Vgl. „De val van Babylon. Oratorium van Spohr“, in: Utrechtsche provinciale en stads-courant 05.02.1851, S. [3]; [Florentius Cornelius] Kist, „Uitvoering van ,der Fall Babylons,‘ Oratorium in twee Afdeelingen, van Louis Spohr, door het Zangge nootschap, den 8. Februarij 1851“, in: Caecilia <Utrecht> 8 (1851), S. 49.

[9] Noch nicht ermittelt.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (05.10.2020).