Autograf: Universitätsbibliothek Kassel – Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Mein lieber Herr Kapellmeister,

Welch ein unendlich langer Zeitraum liegt nun schon zwischen jener schönen Zeit in Cassel und jetzt; wie oft sehnten wir uns noch nach jenen so gemüthlich mit Ihnen verlebten Abenden zurück und nach den schönen Quartettabenden, wo man Ihre herrlichen Quartette so vortrefflich ausgeführt hörte; doch es soll so sein! Mir will es hier in Paris immer noch nicht so gut gefallen, wie in Deutschland, die Franzosen sind so sehr kalt und oberflächlich von Natur, und daran kann ich mich nicht so schnell gewöhnen. Meine Zeit ist hier sehr in Anspruch genommen, ich spiele bei zwei Gesellschaften im Orchester mit, wozu ich doch immer von Zeit zu Zeit eine Probe mitmachen muß; doch nimmt mir das gar zu viel Zeit, so daß ich es nächsten Winter nicht wieder anfangen werde; und dann bin ich sehr viel im Conservatoire, einige Tage vier bis sechs Stunden. Wir sind unserer acht Schüler in der Classe bei Franchomme, und kommen immer fast alle zum Spielen in den zwei Stunden, die wir hintereinander haben, so daß auf jeden eine gute Viertelstunde kommt, was im Ganzen ziemlich wenig ist. Der Zweck des Conservatoires ist ja aber auch durch die Fehler und die Vorzüge der anderen zu lernen. Früher war ich noch mit dem Conservatoir verbunden, außer diesen Stunden ein häufiges Zusammenspielen, von Trio’s, Quartetten u. s. w., doch findet dies leider gar nicht mehr statt. Sie wissen ja, daß ich anfangs hier so viel Noth auszustehen hatte mit Franchomme, daß ist glücklicherweise jetzt beinahe ganz vorüber, Franchomme hat sich, wenn auch sehr schwer, in meine andre Art gefunden, und nach unendlich vielen Bitten, wo er immer behauptete, keine Zeit zu haben, giebt er mir jetzt auch Privatunterricht im Hause, und ist so freundlich, daß ich wohl glauben darf, daß er mit mir zufrieden ist; und so wird ja wohl noch alles gut gehen. Ich habe Gelegenheit gehabt in viele von den besseren Conzerten zu gehen und auch mitunter noch der italienischen Oper, wo die besten Sänger engagirt sind, so daß ich die vorzüglicheren Künstler fast alle gehört habe, wie Alard, der der erste Violinspieler in Paris ist, die Sonntag, Lablache, den Bassisten, den Sie gewiß von England her kennen werden, und viele andere. Ich habe anfangs einen rechten Schrecken bekommen über den hiesigen Vortrag und den Geschmack des Publicums. Dieses will natürlich beständig gekitzelt sein, es will immer etwas Unerwartetes, also da, wo ein ordentlicher Künstler das höchste Gefühl hineinlegen würde, wollen Sie plötzlich gar nichts hören, und dann sind sie außer sich vor Entzücken, auf Fertigkeit oder ein großartiges Spiel geben sie nichts, sie wollen nur Alles auf diese abscheuliche Art vortragen hören, dann sind sie schon zufrieden, weil sie nun auch durchaus keine Schwierigkeiten hören wollen, hört man hier in jedem Conzert mehrmals das Ave Maria von Schubert auf verschiedenen Instrumenten vorgetragen, und ist es immer dieses Stück, was den meisten Effect macht. – Wie sehr wünschte ich, wie im vorigen Jahre, Ihnen persönlich meinen herzlichen Glückwunsch zu Ihrem Geburtstag überbringen zu können, doch ist mir das leider nicht vergönnt; wie schön wurde dieser Tag gefeiert, zuerst im Tonkünstlerverein und dann auf den Abend bei Herrn Wollf. Wenn ich nicht fürchten muß, zu unbescheiden zu sein, möchte ich Sie bitten, meine herzlichsten Grüße an alle die lieben Bekannten in Cassel auszurichten. Ich verbleibe Ihr

Sie hoch Verehrender
Bernhard Hildebrand

Paris, den 1ten April
1851.

Autor(en): Hildebrand-Romberg, Bernhard
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Alard, Jean-Delphin
Franchomme, Auguste-Joseph
Lablache, Luigi
Sontag, Henriette
Wolff, Johann Heinrich
Erwähnte Kompositionen: Schubert, Franz : Ave Maria
Erwähnte Orte:
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1851040145

Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz Bernhard Hildebrand-Romberg an Spohr, 28.08.1850. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Bernhardine und Bernhard Hildebrand-Romberg an Spohr, 05. und 07.07.1852.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (16.02.2024).