Autograf: Universitätsbibliothek Kassel – Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Herrn General Musikdirector
Dr. Louis Spohr. Ritter pp
Wohlgeboren
Cassel

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Mein sehr verehrter Herr Kapellmeister,

Wie gern möcht ich auch dieses Jahr wieder unter die Zahl Ihrer vielen Freunde und Verehrer mich einreihen können, die an dem heutigen frohen Tage sich um Sie theurer Meister schaaren um Ihnen Ihre Glückwünsche darzubringen, leider wird mir diese Freude nicht zu Theil und ich muß mich damit begnügen Ihnen schriftlich die Gefühle meines Herzens auszusprechen, die Gefühle der ewigen Dankbarkeit und Hochschätzung die ich stets für Sie haben werde.
Ihr letzter lieber Brief war mir wieder ein großer Beweis wie freundlich und gütig Sie für uns gesonnen sind, er hat alle meine Zweifel und Sorgen zu beseitigen gewußt, und gab mir den festen Anhalt dessen ich hier bedurfte. Nach vielen harten Kämpfen hat sich Herr Franchomme in sein Schicksal zu finden gewußt, er läßt den Bernhard bei seiner früheren Methode und ertheilt ihm dennoch Unterricht, nicht allein im Conservatoir, sondern auf meine fortgesetzten Bitten, auch noch Privatunterricht, und seitdem merke ich bedeutende Fortschritte, was den jetzigen Geschmack anbetrifft. Franchomme spielt höchst sauber und schön und zart, doch ist es nicht der großartige Vortrag der edle Styl den ich früher gewohnt war, und der mich vorigen Winter so sehr entzückte.
So gefällt mir aber auch durchweg die französische Schule nicht, der schöne gediegene Vortrag, eine rechte großartige Auffassung höre ich gar nicht mehr, es ist ein ewiges Haschen nach Effecten, ein Austausch von übertriebenem Gefühl, daß am Ende aber auch einseitig wird, das Publikum daß wenig musikalische Bildung hat, verlangt es so und zollt nur dieser Vortragsweise Beifall. Franchomme gehört noch zu den solideren Künstlern, darum gefällt er weniger im Publikum und spielt selten, die Künstler stellen ihn am Höchsten, er hat einen eigenthümlichen Schwung im Spiel der mir sehr gut gefällt, seine Compositionen wollen in seiner Art vorgetragen sein um zu gefallen, er benutzt viel einen Springbogen, ohne das Ziehen sehr zu lieben, hat er einen sehr reichen Uebergang, und bringt viel Abwechslung in seinem Spiel. Außerdem gibt es noch viele Cellisten, die aber alle nicht besonders sind. Batta hat manche Vorzüge, doch sind seine Compositionen jämmerlich. Offenbach entbehrt durchaus der Solidität, er ist durchweg ein Charlatan, aber der Liebling des Publicums. Die Aufführungen in den Conservatoir-Conzerten sind ganz wundervoll und finden auch die allgemeinste Anerkennung, leider fält2 es so schwer Billette zu bekommen, natürlich für Geld und gute Worte, dennoch ist mirs nur selten für Bernhard gelungen. Bis zum Schluß des Conservatoirs bleib ich auf jeden Fale hier, ich bin aber noch so sehr unentschlossen ob ich nicht den nächsten Winter auch noch hier zubringe. Da Bernhard natürlich noch nicht öffentlich gespielt hat, in Gesellschaften hat er schon oft und mit Beifall gespielt, doch darf er entschieden nicht mit Vaters Compositionen kommen, was wir auch wählen mögen, während die Franchommeschen Sachen für ihn kaum Schwierigkeiten enthalten.
Würden Sie lieber Herr Kapellmeister auf jeden Fall dafür stimmen daß wir noch so viel länger hier blieben, damit der Bernhard von hier aus vielleicht schon einigen Ruf erlangte? Später möchte ich ihn noch einige Monate zu Servais bringen, jedoch nicht auf lange Zeit, er muß sich auch mit seiner Auffassungs-Weise vertraut machen.
Welche Reisen haben Sie für diesen Sommer beschlossen, wäre es doch denkbar daß wir uns an einem Ort zusammen fänden wie unbeschreiblich gern möcht ich Sie und die liebe Frau Kapellmeister wieder sehn. So viele Menschen ich hier auch kennengelernt habe, so viele Künstler ich auch gesehn und gehört habe, so hat doch keiner mit der Freundlichkeit un[d] Güte sich unser angenommen, wie Sie mein lieber Kapellmeister, keiner nur im Mindesten sich für Bernhard interessiert. Kein einziges Quartett haben wir gehört, und kein Einziges hat Bernhard gespielt, jeder ist so in Anspruch genommen daß er nur3 seine eigenen Angelegenheiten sich kümmern kann. Halevy hatte dem Bernhard ein Entrée im Theater zugesagt, doch vergißt er es von einem Monat zum Andern, und oft zu zahlen, daß geht nicht, wo die Preise so unendlich theuer sind, Sie sehn also wohl, daß in vieler Beziehung meine Erwartungen nicht erreicht sind.
Meine herzlichsten Grüße Ihrer verehrten Frau Gemahlin H. und Frau Professor Wolff und der Madame Zahn unbekannter Weise, die ich fürchte Sie nun bald wieder verlassen wird. Empfehlen Sie mich auch bitte Herr und Frau von Malsburg angelegentlichst wie so vielen unser lieben Freunde. Leben Sie für heut recht wohl mein theurer Herr Kapellmeister, erhalten Sie ein freundliches Gedenken

Ihrem
Ihnen
ganz ergebenen
B. Hildebrand geb. Romberg

Paris d 1n April 1851.

Autor(en): Hildebrand-Romberg, Bernhardine
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Batta, Alexander
Franchomme, Auguste-Joseph
Halévy, Jacques Fromental
Malsburg, Caroline von der
Malsburg, Wilhelm von der
Offenbach, Jacques
Servais, François
Wolff, Ida
Zahn, Emilie
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte: Paris
Erwähnte Institutionen: Conservatoire <Paris>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1851040143

Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Hildebrand-Romberg an Spohr, 08.01.1851. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Bernhardine und Bernhard Hildebrand-Romberg an Spohr, 05. und 07.07.1852.

[1] Auf dem Adressfeld befindet sich links oben der Poststempel „[???] PARIS (JS) / 1 / AVRIL / 51 / 60“, rechts oben der Stempel „PD“ und auf der Rückseite des zusammengefalteten Briefumschlags der Stempel „D.2 / 4/4“.

[2] Sic!

[3] Hier gestrichen: „sich“.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (16.02.2024).