Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Danzig, den 8. Januar 1851.

Hochzuverehrender Herr General-Musikdirector!

Bei einer früheren Gelegenheit schon zeigten Sie sich gegen mich so freundlich, daß ich den Muth habe, eine neue Bitte an Sie zu richten, durch deren Erfüllung Sie mich zum höchsten Dank verpflichten würden.
Als warmer Verehrer Ihres Genius und Ihrer Meisterwerke im Felde des Oratoriums, habe ich und der Danziger Gesangverein den lebhaften Wunsch, Ihr rühmlichst bekanntes Oratorium „Des Heilands letzte Stunden“ einzustudiren und am Charfreitage dem hiesigen Publikum in einer öffentlichen Aufführung vorzuführen. Das Werk ist hier noch nicht bekannt, und würde, wie früher bereits „die letzten Dinge“ und „der Fall Babylons“ ohne Zweifel das lebhafteste Interesse erregen. Das unsere Geldmittel aber zur Anschaffung des Werks gegenwärtig nicht ausreichen, so beruht meine Hoffnung auf Ihrer großen Güte, verehrter Herr General-Musikdirector. Ich erlaube mir die ergebenste Bitte auszusprechen: Sie möchten mir die Partitur, Klavierauszug, Sing- und Orchesterstimmen Ihres Oratoriums leihweise zur Disposition stellen. Mein Dank für so große Gefälligkeit würde sich zunächst in dem gewissenhaftesten Bemühen bestätigen, Ihre Kunstschöpfung in würdiger Weise auszuführen, und dem Meisterwerke die gebührende Ehre zu erreichen. Unsere Gesangskräfte sind sehr tüchtig und Alle specielle Verehrer Ihrer Muse. Falls ich mir Hoffnung machen dürfte, meine ergebenste Bitte durch Ihre Güte erfüllt zu sehen, darf ich auch wohl recht bald einer gefälligen Benachrichtung entgegensehen. Wir üben gegenwärtig zu einer Aufführung des „Paulus“1 ein, und unmittelbar nach diesem Werke würde ich mit dem Einstudiren Ihres Oratoriums beginnen, welches ich, wie schon angeführt, für den Charfreitag bestimmt habe. Für sofortige Zurücksendung nach Benutzung der geliehenen Musikalien, so wie für deren vollständige Erhaltung würde ich Sorge tragen. In jedem Falle, hochverehrter Herr General-Musikdirector, haben Sie wohl die Güte, mich in einigen Zeilen von Ihrem geneigten Entschlusse zu benachrichtigen, damit ich, falls meine Bitte keine Berücksichtigung finden kann, in Zeiten an die Wahl eines andern Werkes zu denken in Stand gesetzt bin.
Genehmigen Sie, hochverehrter Herr, die Versicherung aufrichtigster Verehrung und Hochachtung

Ihres
ganz ergebensten
FWMarkull
Königl. Musik-Director

Autor(en): Markull, Friedrich Wilhelm
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen:
Erwähnte Kompositionen: Mendelssohn Bartholdy, Felix : Paulus
Spohr, Louis : Der Fall Babylons
Spohr, Louis : Des Heilands letzte Stunden
Spohr, Louis : Die letzten Dinge
Erwähnte Orte: Danzig
Erwähnte Institutionen: Gesangverein <Danzig>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1851010844

Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Markull an Spohr, 01.07.1843. Spohrs Antwortbrief ist derzeit verschollen.

[1] Vgl. „Aus Danzig“, in: Neue Zeitschrift für Musik (1851), S. 222ff. und 237, hier S. 222.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (07.01.2022).