Autograf: Universitätsbibliothek Kassel – Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Sr. Hochwohlgeboren
Herrn Dr. Louis Spohr
General Musikdirector, Ritter pp
in
Cassel.

fco1


Paris d 8ten Januar 1851.

Mein hochverehrter Herr Kapellmeister,

Schon längst war es meine Absicht an Sie zu schreiben, und immt wieder schob ich es weiter hinaus, um Ihnen erst einige Details über unsern hiesigen Aufenthalt geben zu können. Unsere Abreise von Hamburg verzögerte sich um mehrere Wochen, da ich sie von der Abreise meines ältesten Sohnes abhängig machte, und so kamen wir erst am 1st Dezember hier an, was ich später recht bereut habe, da Auber mit der Aufführung seiner neuen Oper l’Enfant prodigue so beschäftigt war, daß wir ihn nicht sprechen konnten. Fast vier Wochen verstrichen vergeblich, als Bernhard ganz zufällig ihn im Conservatoir antraf, ihm vorgestellt wurde, und Auber in Erinnerung der erhaltenen Empfehlungen ihn annahm, ohne Concours. Halevy hat uns sehr freundlich aufgenommen, und will Ihnen verehrter Kapellmeister Ihren lieben Brief2 beantworten, sobald er Bernhard gehört hat, was er auf den nächsten Sonnabend fest zugesagt hat. Franchomme war bereit Bernhard in seine Classe aufzunehmen, und hat das Seine dazu beigetragen um es zu erreichen. Ich nannte Ihnen damals Franchomme als denjenigen Lehrer, der mir als der Beste empfohlen worden war, besonders vom Grafen Wilhorsky, der ein ausgezeichneter Dilettant und Schüler meines Vaters ist. Auch erinnere ich mich einer Äußerung meines Vaters3, daß Franchomme ein hübsches aber kleines Genie habe, kein großartiges Genie.
Wilhorsky schrieb mir, Franchomme sei in Vaters Schule gebildet und spiele dessen Sachen sehr schön, daraufhin beginnt Bernhard den Unterricht. Und nun hat Franchomme seine Schule derart geändert, daß keine entfernte Annäherung an Vaters Methode, in der Bernhard bis jetzt unterrichtet worden ist, statt findet. Sie können sich denken guter Kapellmeister wie ich darüber in Verzweiflung bin. Franchomme ist unendlich klein, mehr denn einen kleinen Kopf kleiner als Bernhard, dabei spielt er ein großes Instrument, daß er ganz tief hängen läßt, um mit der linken Hand die Töne, näher dem Kopf zu, greifen zu können. Den linken Daumen legt er nicht um den Hals. Knoop spielt darin wie Vater. Dann spielt er mit dem Arm und nicht mit der Hand, also steif, und benutzt den Bogen nur in der Mitte, da ihm das Spielen an der Spitze nicht gefällt, Vater benutzte stets die ganze Länge seines Bogens zu den leichten zarten Stellen. Die Abweichung ist also in jeder Art so enorm groß, daß ich ein bischen außer Fassung darüber bin. Ich hatte mir fest vorgenommen, in B. Methode nichts ändern zu lassen, und sollte der hiesige Aufenthalt nur auf den Vortrag und auf den Geschmacke seinen Einfluß üben. Doch ohne Lehrer, ohne bestimmte Anleitung geht das noch nicht, dazu ist B. noch zu jung. Ich sprach mich also gegen Franchomme ganz offen aus, als Rombergs Tochter, konnte ich es wohl am Ersten, Sie können sich aber wohl denken daß ich dabei einen schlimmen Stand hatte, und mir diese Unterredung unendlich schwer wurde.
Die Musik hat so große Fortschritte gemacht, und Franchomme ist auf die alte Duport’sche Schule zurück gegangen, er hat sie seiner Persönlichkeit besser anzupassen gewußt, Vater ist auch als Knabe nach der Duport’schen Schule gebildet, warum würde er so bedeutende Veränderungen vorgenommen haben, wenn es keine Verbesserungen gewesen wären, das alles habe ich ihm gesagt, und dennoch wollte er mich überzeugen daß seine Schule die Bessere wäre, und daß er nicht wüßte wie es dem B. nützen könne, wenn er nicht zuerst ihm die Art beibringen sollte, wie er die Töne zu nehmen habe.
Ich sagte ihm, wie Sie es gemacht hätten, und am Ende sind wir, nach vielen Kämpfen dahin überein gekommen, daß er versuchen wolle, auf B. Einfluß zu nehmen, ohne seine Methode zu ändern. Doch jetzt quält er den Jungen auf andre empfindliche Art und ist böse auf ihn ohne sich im Mindestens für seine Fortschritte zu interessieren.
Mit fehlt hier der entschiedene Rath, mir fehlt jemand der das Instrument kennt5 und B. Spiel zu beurtheilen muß, und so werde ich mich in meiner Rath- und Thatlosigkeit an Sie guter Meister, und hoffe daß Sie mich zu einem Entschluß bringen werden.
Sie, der Schöpfer einer eigenen neuen Schule, Sie verstehen es am Besten zu beurtheilen, was es heißt, ein System zu verlassen, daß man so lange, und ich darf doch wohl sagen, mit Erfolg betrieben hat, um sich ein neues anzueignen, gegen welches man eigentlich schon ein Vorurtheil gefaßt hat. Denn nach Vater wollte uns kein Cellist mehr gefallen, die Stellung ungraziös, die Hand steif und unfähig mit5 Leichtigkeit alle Passagen zu spielen.
Soll B. den Weg verlassen, den er bisher befolgt und seinem neuen Lehrer folgen, oder soll er fortfahren zu spielen, Franchomme hinnehmen, was er ihm gutwillig zeigen und sagen will, profitiren wird er immer von ihm, der er wird ihn hören; und wird anders hören, und überhaupt andre Virtuosen, Violinspieler, Sänger, alles gute denke ich wird jetzt Eindruck auf ihn machen, und dann sich seinen eignen Weg bahnen, nach dem er so viel als möglich Gutes in sich aufgenommen und verarbeitet werden wird.
Das Letztere ist mein Wunsch, sein Spiel ist das Erbtheil seins Großvaters, der ihm noch das Instrument in die Hände gab, nach seiner Art, der ihm Hand und Bogen führte. Doch guter Meister ich habe darin keine Erfahrung, und traue dem B. vielleicht zu viel zu, daher bedarf ich des Rathes, und Ihres Rathes, der Sie es am Besten zu beurtheilen wissen. Zürnen Sie mir nicht wenn ich Sie mit der Bitte zu sehr belästige, es ist bei B. mir wichtig, eine Lebensfrage, und dabei kann ich nicht besorgt genug sein. Ich weiß gewiß daß Sie sich genug für ihn interessieren, Sie haben es uns so vielfältig bewiesen, um mich mit einigen Zeilen recht bald zu erfreuen, denken Sie nur in welcher ängstlichen Spannung ich deshalb lebe. Wilhorsky wird auch außer sich sein wenn er hört wie sehr Franchomme sich verändert hat. Andre gute Lehrer sind nicht hier, dieser wird am Meisten gerühmt, doch spielt er jetzt nicht mehr öffentlich, seitdem ein H. Offenbach, ein Jude und Charlatan, hier so sehr in den Concerten gefällt. Ich habe mir das Musikliebende-Publikum gebildeter und durchbildeter gedacht, leider sind sie hier so wenig an ernste Musik gewöhnt. Noch muß ich Ihnen erzählen daß Franchomme bei Bernhard so sehr über unreines Spiel klagt, und den Jungen so verwirrt macht, daß er mir neulich sagt, daß er irre an sich selbst wird. Bei Ihnen kam auch wohl mal ein unreiner Ton, doch habe ich Sie nie so sehr darüber klagen hören, und verändert hat er sich nicht. Concertmeister Pott hat noch ganz kürzlich mit ihm Quartette gespielt, und war so zufrieden mit ihm, daß er es mir wiederholt sagte.
Wie viel sind unsre Gedanken in letzter Zeit bei Ihnen gewesen, und welche schwere Zeit haben Sie alle durchlebt, und sind noch nicht am Ende, wie haben wir Ihre liebe Frau beklagt, die an solche Ruhe und Ordnung gewöhnt war. Einquartierung werden auch Sie bekommen haben, und so denke ich mir Ihre freundliche Ruhe recht sehr gestört, doch auch sieht sichs wohl in der Ferne schlimmer an, und wir wollen hoffen daß alles sich noch zum Guten wenden mag, dieser unsichre Zustand ist nicht lange zu ertragen. Haben Sie Ihre liebe Tochter6 und Enkelin7 noch bei sich. Gern wüßte ich noch von so manchen unsrer lieben Freunde, von Malsburgs, wie es ihnen geht, doch wäre es wohl unbescheiden Sie mit diesen Bitten zu belästigen, wenn Sie sie sehn, was gewiß recht häufig geschieht, so empfehlen Sie mich ihnen wohl freundlichst. Beim Wechsel des Jahres sende ich Ihnen und der lieben Frau Kapellmeister unsre besten Glückwünsche, möge es in so fern bequemer haben, als Sie im vorigen Jahre beide durch ernste Krankheit heimgesucht waren, die allen Ihre8 Freunde9 mit Sorgen erfüllten.
Ich muß doch noch Mal auf Bernhard zurück kommen, ehe ich heut von Ihnen scheide, Sie werden schelten daß ich mich vorher nicht besser erkundigte, ich habe darin gethan, was ich irgend thun konnte, und war, nach der Auskunft die ich erhielt, meiner Sache so gewiß, Kummer würde ich nicht gewählt haben, da ich vorher wußte daß er nach der daß er nach der veralteten Methode spielt, und Menter in München war mir nicht besonders gerühmt worden, hat auch noch keinen tüchtigen Schüler gebildet, ferner lag mir überhaupt dran, daß Bernhard die französische Art des Vortrags, das leichte pikante Spiel kennen lernen sollte, und wenn auch, vielleicht keine großartigen Cellisten hören könnte, er selbst durch den Vortrag auf andern Instrumenten lernen und sich den Vortrag aneignen könnte. Jetzt hängt alles von Ihrer Antwort ab, und Sie guter Kapellmeister werden mich nicht ohne Antwort lassen, und sich denken, es könnte leicht ihrem eigenen Enkel eben so ergehn.
Danken Sie dem Professor Wolff für zwei Empfehlungen an Herrn Hittdorf, er und seine Frau haben einen angenehmen Eindruck auf uns gemacht, wir sollten heut Abend bei ihnen sein, waren aber schon bei Rosenstein(???) versagt, wo Musik gemacht wird.
Ich habe Ihre Freundlichkeit zu sehr in Anspruch genommen, durch diesen langen Brief, der Ihnen Ihre kostbare Zeit raubt, ich glaubte aber so ausführlich sein zu müssen.
Sie guter lieber Meister und Ihre liebe Frau aufs herzlichste grüßend, zeichne mit der größten Hochachtung

Ihre
ergebene
B. Hildebrand geb. Romberg

P.S. Bernhard schreibt heute nicht mit, da er von 9 bis 3 Uhr im Conservatoir beschäftigt ist, und um 2 Uhr der Brief zur Post muß, er entschuldigt sich deshalb bei Ihnen.



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Hildebrand-Romberg an Spohr, 30.08.1850. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Hildebrand-Romberg an Spohr, 01.04.1851.

[1] In der Mitte des Adressfelds befindet sich der Poststempel „BU[R]EAU CENTRAL / 8 / JANV / 51 / (60)“, rechts oben der Stempel „PD“.

[2] Dieser Brief ist derzeit verschollen.

[3] Bernhard Romberg.

[4] „kennt“ über der Zeile eingefügt.

[5] Hier gestrichen: „der“.

[6] Emilie Zahn.

[7] Nathalie Zahn, später verh. Wigand.

[8] Am Wortende gestrichen: „n“.

[9] Am Wortende gestrichen: „n“.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (16.02.2024).