Autograf: Stadtarchiv Kassel (D-Ksa), Best. S 3 Nr. 806

Sr. Wohlgeb.
Herrn Hofkapellmeister
C.A. Mangold.
in
Darmstadt.

frei.1


Cassel den 26sten Octob.
1850.

Hochgeehrter Herr Kapellmeister,

Die totale Zerrüttung in die der Greifswalder Fälscher2 unser armes Land gestürzt hat, lastet auch auf mir sehr schwer, da ich nach Abberufung unserer Gardemusik, die zwei drittheile unsers Orchesters bildet, genöthigt war, ein ganz neues Orchester aus den hier zurückgebliebenen Regimentsmusikern3 zusammenzusetzen und nun mit diesen ungeübten Leuten zu jeder Oper 2-3 Vorproben machen muß.4 Dieß möge mich entschuldigen, daß ich ihr geehrtes letztes Schreiben noch nicht beantwortet und Ihnen für Ihr freundliches Geschenk meinen besten Dank gesagt habe. Auch wollte ich vorher gern Ihre Oper recht genau kennen lernen, wozu mir aber bey der vielen ermüdenden Arbeit und der Sorge für die Gesundheit der Meinigen in der Cholerazeit die nöthige Ruhe und Sammlung fehlte. Nun habe ich aber doch in den letzten Tagen Ihr Werk recht genau durchgesehen und mich sehr des vielen Schönen, das es enthält, erfreut. Wie schwer es nun eben ist, ja fast unmöglich, nach bloßem Durchlesen eines solchen componirten Werkes ein sicheres Urtheil zu fällen, wissen Sie selbst; ich kann daher nur im Allgemeinen sagen, daß mir Ihre Arbeit recht sehr gefallen hat. Nach Ihrem Briefe sind Sie bemüht gewesen populär zu schreiben und dankbar für die Sänger. Ich glaube, daß Ihnen dieß in den meisten Nummern gelungen ist; doch sind mir auch Stellen aufgestoßen, die mir verkünstlet scheinen, wie z.B. das Fugato im Allegro der Ouverture und das quasi Recitativ in Nro 7 pag. 30. Überhaupt will es mir scheinen, als wenn Sie den Gesang hin und wieder5 mit zu vielen Begleitungsfiguren ausgesponnen hätten, und den Sänger einengt und einen freien Erguß erschwert. Doch kann ich mich hierin auch irren und es macht sich bey der Aufführung wohl anders, als es beym Lesen erscheint. So sind mir auch sämtliche Nummern der Oper kurz vorgekommen, was gewiß besser ist, als wären sie zu lang; doch hätte ich bey einigen eine längere Ausführung gewünscht. In der Stimmführung und in den Harmoniefolgen habe ich recht viel Neues und Überraschendes gerfunden, doch auch manche Härten; vielleicht erscheinen diese aber auch nur beym Lesen und verschwinden im großen Raum und bey starker Besetzung. – Am Wechsel der Situationen fehlt es in Ihrer Oper nicht; mir scheinen deren so gar zu viele. Doch auch darüber läßt sich nur bey einer Aufführung mit Sicherheit urtheilen.
Daß ich bey dem Interesse, welches mir Ihr Werk einflößt, recht sehr wünsche, daß es hier gegeben werde, brauche ich wohl nicht erst zu versichern. Auch werde ich nach Kräften dafür thätig sein, so bald der Hof und unser Orchester nach Cassel zuerückgekehrt seyn werden. Unter welchen Verhältnißen, auch in Bezug auf die Fortdauer, unsers Hoftheaters, dies aber6 stattfinden wird, ist noch ganz in das Dunkel der Zukunft gehüllt. Doch muß sich die Crisis nun bald entscheiden!
Mit vorzüglicher Hochachtung

Ihr
ergebenster
Louis Spohr

Autor(en): Spohr, Louis
Adressat(en): Mangold, Carl Amand
Erwähnte Personen: Hassenpflug, Ludwig
Erwähnte Kompositionen: Mangold, Carl Amand : Gudrun
Erwähnte Orte: Kassel
Erwähnte Institutionen: Hofkapelle <Kassel>
Hoftheater <Kassel>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1850102614

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf Mangold an Spohr, 26.09.1850.

[1] Rechts auf dem Adressfeld befindet sich der Poststempel „CASSEL / 6 / OCT. / 1850 / 2 3“; links über dem Adressfeld befindet sich der Stempel „D2 / 271“.

[2] Der kurhessische Justiz- und Innenminister Ludwig Hassenpflug war am 19.06.1850 vom Greifswalder Kreisgericht wegen Fälschung verurteilt worden, weil er zuvor als Gerichtspräsident bei Renovierungsarbeiten des Greifswalder Appelationsgerichts Gelder für die Verschönerung seiner Amtswohnung abgezweigt hatte (vgl. „Kurhessen seit dem März 1848“, in: Gegenwart 6 (1851), S. 531-613 , hier S. 588).

[3] Hier ein Wort gestrichen.

[4] Vgl. Spohr an Adolph Hesse, 24.10.1850.

[5] „hin und wieder“ über der Zeile eingefügt.

[6] „aber“ über der Zeile eingefügt.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (03.09.2020).