Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287[Mangold:2

Seiner Hochwohlgeboren
Herrn Hofkapellmeister Dr. Louis Spohr.
Cassel.

franco.1


Hochverehrtester Herr Hofkapellmeister!

Entschuldigen Sie, wenn ich nicht umgehend auf Ihr geehrtes Schreiben vom 13. Sept. geantwortet habe. Ich dachte mir die Lösung der politischen Wirren schneller bewekstelligt und wollte dies abwarten.
Die Partitur meiner Oper Gudrun, die ich Ihnen gesendet, ersuche ich Sie als ein Zeichen meiner innigsten Hochachtung und Verehrung von mir als ein Geschenk anzusehen. Fällt die Entscheidung Sr Königl. Hoheit und Ihrer Intendanz günstig aus, so schicke ich ein anders Exemplar für den Gebrauch Ihres Kurf. Hoftheater nach. – Es sollte mich sehr freuen, wenn ich von Ihnen, dem erfahrenen Meister, ein recht aufrichtiges, ungeschminktes Urtheil über das Werk erhalten könne. Es ist ja so selten, daß man ein sachverständiges Urtheil hört, welches zum Fortschreiten aneifert(?), daß Sie mir verzeihen, wenn ich den Wunsch Ihnen recht dringend an‘s Herz lege, Sie möchten die Oper einer recht strengen Kritik unterwerfen. – Die Ansprüche, die an eine deutsche Oper von Seiten entscheidender Behörden gemacht werden, sind so viele und mannigfaltige, der Geschmack des Publikums so bunt, unsre meisten Sänger durch das Zuhauseseynwollen- und müssen in allen Gattungen so verwöhnt & verschroben, daß es warlich fast unmöglich scheint, etwas selbständiges und künstlerisches in diesem Fache zu leisten, das zugleich den Ansprüchen, die man macht, einigermaßen entspricht.
Erfüllt von klassischen Vorbildern und, ich bin es mir bewußt, dem reinsten durch nichts irre gemachten künstlerischen Streben ging ich, nachdem ich schon mehrere größere Kompositionen von mir2 im Theater und im Musikverein hier gehört hatte, an die Kompositione meiner Oper „Tanhäuser“ (Gedicht von Dr. E. Duller.) – Die Oper hat hier gefallen und sich seit 5 Jahren auf dem hiesigen Repertoire erhalten, wodurch ich genug Gelegenheit bekam sie zu verschiedenen Zeiten und von verschiedenen Gesichtspunkten aus, zu beurtheilen. Die letzte Aufführung derselben im vorigen Winter, nachdem ich vorher, im Sommer 1849, meine Oper „Gudrun“ geschrieben hatte, machte mich am klarsten über „Tanhäuser“ Da kam es mir denn vor, einestheils, als sei diese Oper in gewissem Sinne zu gut für ’s Publikum und für die Sänger, d.h. zu edel und ernst gehalten und anderntheils, als habe ich doch wieder das Beste und Höchste, wie ich es erstrebt, nicht erreicht und wieder auch, als habe ich den Opernstyl nicht richtig erkannt und erfaßt. – Es schein mir nothwendig, daß die Melodien reichlicher fließen müßten, die Harmonien weniger stören dürften, der Rhythmus prägnanter, das Ganze faßlicher und populärer bei allem Streben nach Originalität und Klassizität seyn müßte. – Nach solchem Erkenntniß ging ich nochmals an meine Oper „Gudrun“ und arbeitete sie in diesem3 Frühjahr völlig um, indem ich mich der Einfachheit und Faßlichkeit, des melodischen Flusses und der möglichsten Gedrungenheit befleißigte. Eine in der Leipziger Mus. Zeitung über meine „Hermannsschlacht“ erschienene Kritik, in welcher die Recitative in diesem Werke als sich in dem gewöhnlichen Gleise bewegend, getadelt wurden4, blieb nicht ohne Einfluß auf die Recitative in Gudrun. –
Diese, Ihnen, hochverehrtester Herr, im Vertrauen mitgetheilten Notizen dienen vielleicht dazu meinen Standpunkt näher zu bezeichnen. Ich muß freilich, weil ich von einem früheren, meiner Ansicht nach, allerdings höheren Standpunkt mit Bewußtseyn mich entfernt, mich dagegen verwahren, als sei ich ein Anhänger moderner Mosaikarbeit und Effekthascherei geworden.
In der Hoffnung, daß Sie mich die letzte Kategorie nicht setzen und mir auch meine Ausführlichkeit nicht für Unbescheidenheit auslegen, sondern nur als ein Zeichen meines großen Vertrauens und meiner Hochachtung erkennen werden, einer freundlichen Antwort entgegensehend
Mit der ausgezeichnesten Verehrung
Ew. Hochwohlgeboren

ganz ergebenster
C.A. Mangold

Darmstadt d. 26. Sept. 1850.

Autor(en): Mangold, Carl Amand
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen:
Erwähnte Kompositionen: Mangold, Carl Amand : Gudrun
Mangold, Carl Amand : Die Hermannsschlacht
Mangold, Carl Amand : Tanhäuser
Erwähnte Orte: Darmstadt
Erwähnte Institutionen: Hoftheater <Darmstadt>
Hoftheater <Kassel>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1850092644

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf Spohr an Mangold, 13.09.1850. Spohr beantwortete diesen Brief am 26.10.1850.

[1] Rechts auf dem Adressfeld befindet sich der Poststempel „DARMSTADT / 26 / SEP / 1850 / 5 – 6“; links über dem Adressfeld der Stempel „D.1 / 28/9“.

[2] „von mir“ über der Zeile eingefügt.

[3] „diesem“ über der Zeile eingefügt.

[4] Emanuel Klitzsch, Rez. „C.A. Mangold, Op. 30. Die Hermannsschlacht [...]“, in: Neue Zeitschrift für Musik 31 (1849), S. 157f. und 161ff., hier S. 162.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (03.09.2020).