Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287
 

Hamburg d. 30n August 1850.

Hochverehrter Herr Kapellmeister,

Seit drei Wochen ist Ihr lieber Brief in meinen Händen, und noch habe ich Ihnen kein Wort des Dankes dafür zukommen lassen, ich habe deshalb recht sehr Ihre Nachsicht in Anspruch zu nehmen und hoffe entschuldigt zu werden, wenn ich Ihnen sage, daß ich fast vierzehn Tage recht krank war und das Bett hüten mußte, jetzt geht es besser, doch bin ich noch sehr angegriffen. Ein zweiter Grund war der, daß ich am1 Grafen Wielhorsky nach Petersburg geschrieben hatte, und mir seine Ansicht über Franchomme erbeten hatte. Auf g Wielhorskys Urtheil gebe ich sehr viel, er ist einer der besten Dilettanten auf dem Cello, hat alles gehört, kennt jeden Künstler und würde gewiß nicht zu Franchomme rathen, wenn er nicht die volle Ueberzeugung hätte daß er der beste Cellist und Lehrer sei.
Bernhard hat eigentlich noch keine ausgezeichneten Cellisten gehört, es ist also seit Jahren schon mein stetes Trachten, ihn einem ausgezeichneten Manne zuzuführen, der einen gediegenen Vortrag besitzt, zugleich aber auch in der neuen modernen Art spielt, von allen Seiten bin ich auf Franchomme hingewiesen worden. Mein Vater2 hatte ihn 1839 in Paris gehört, 1828 hatte er mit dem ersten Preis das Conservatoir verlassen, und erzählte mir daß er ein hübsches sauberes, aber kleines Spiel habe, Wielhorsky bestätigt diese Äußerung und räth unbedingt zu Franchomme, meint aber daß Bernhard später auch zu Servais nach Brüssel müßte, um ihn wenigstens oft zu hören, ginge Bernhard zu früh nach Brüssel, so könnte Servais Spiel, nicht den gewünschten nothwendigen Einfluß haben. Es ist ziemlich dasselbe was er schon Mal mündlich mit mir besprochen hatte. Servais muß man kennen und studiren, ohne sich seine Manier aneignen zu wollen.
Ich hoffe für Bernhard eine Freistelle am Conservatoir zu bekommen, da mein Vater Professor am Conservatoir war 3 Jahre dort Unterricht gegeben hat, und nach seiner Cello3 Schule der Unterricht geleitet wird, ich habe auch schon Schritte dazu gethan, und habe allerdings Aussichten dazu, darum ist ein Brief an Auber so wichtig, der beinah allein darüber zu bestimmen hat. Ich würde Bernhard unbedingt nur Privat-Unterricht geben lassen, denn ich scheue keine Kosten die ihm förderlich sein können, wenn ich nicht glaubte daß der gemeinsame4 Unterricht mit andern jungen Leuten, das Wichtigste dabei, wie auch die Uebungen und Aufführungen jeden Sonntag, auch ihren Nutzen schafften. Und da Franchomme auch Lehrer des Conservatoir ist, so bleibt es mir ja unbenommen ihm noch wöchentlich darüber ein oder zwei Stunden geben zu lassen; und würde ich Ihnen sehr dankbar sein, wenn Sie mir Ihre Ansicht darüber möchten zukommen lassen, wie überhaupt ich Ihnen werthgeschätzter Meister unendlich verpflichtet bin, für die große Theilnahme die Sie Bernhard und dadurch auch mir erweisen.
Mein ganzer Lebenszweck ist jetzt darauf gerichtet daß Bernhard so tüchtig wie möglich werde. Ihm zu Liebe verlaß ich meine Mutter, meine Häuslichkeit und tausend Annehmlichkeiten, die mir an fremder Art, in fremden Lande nicht werden können. Also ist ja auch die erste Bedingung diejenige, daß aufzusuchen, was nun am geeignetsten ist diesem Zweck in möglichster Vollkommenheit zu erreichen.
Gans5 möchte ich nicht zum Lehrer wählen, er hat zwar eine enorme Fertigkeit und einen vollen Ton, aber sein Spiel ist kalt und ohne Geist, er spricht mir nicht zum Herzen. Auch Kummer spielt steif und veraltet. In Paris ist neben Franchomme noch Batard, der viele Fertigkeit hat, aber weniger als Lehrer zu empfehlen ist. Servais kömmt jeden Winter nach Paris, wir würden ihn also jedenfalls dort treffen.
Was den Unterricht in der Theorie anbelangt so habe ich immer gehört daß er in Paris schlecht ist, was auch ihre Compositionen beweisen, denn das Gediegene fehlt, ich würde es diesen Winter also auch mehr als eine Uebung betrachten. Sie nannten mir den Namen von Hauptmann stets mit solcher Achtung, lieber Herr Kapellmeister, daß ich fast den Entschluß gefaßt habe, das Bernhard später Mal nach Leipzig zu schicken, doch darüber hole ich mir alsdann erst Ihren Rath ein.
Neben dem Brief an Auber den Sie zusagen, erinnere ich Sie an ihr gütiges Versprechen und einen Brief an Hallevi geben zu wollen, dem wir gern empfohlen wären, und von Ihnen.
Daß Ihre Reise mir sehr Erfreulich war, in jeder Beziehung, daß will ich wohl glauben, nachdem Sie jahrelang vergeblich erwartet worden sind, haben Sie alle Welt durch ihre Gegenwart beglückt, und jeder hat sich glücklich geschätzt den all verehrten Meister seine Achtung bezeigen zu können, Freude verbreitend haben Sie Freude gehabt. Das Breslauer musikalische Völkchen haben wir sehr lieb, und hat auch mein Vater vielfache Beweise der Liebe und Achtung dort genossen.
Ich habe mit6 diesem Briefe so manches Urtheil ausgesprochen daß ich wohl wünschte streng unter uns bliebe, ich habe geglaubt Ihnen diese offenen Ansichten aussprechen zu müssen.
Die Absicht nach Leipzig oder Breslau jetzt zu reisen habe ich ganz aufgeben müssen, Bernhard ist nicht kräftig genug, er hat den ganzen Sommer über geschont werden müssen, und so, finde ich, ist er noch nicht Herr des Instruments. Auch kann ich jetzt nicht von Hamburg fort, mein ältester Sohn7 will Ende October nach St Francisco. und so habe ich noch unendlich viel zu thun, um bis dahin seine Ausstattung fertig zu schaffen.
Möcht ich die Freude haben recht bald Mal wieder einige Zeilen von Ihnen zu erhalten, es liegt mir ein solcher Trost darin wenn Sie meine Pläne billigen, und namentlich diese nächste Reise, die von so großem Einfluß für Bernhard sein kann. Empfehlen Sie mich dem Herrn und Frau von Malsburg angelegentlichst, und erhalten Sie freundlichst Wohlwollen
Ihrer

ergebenen und stets dankbaren
B. Hildebrand geb. Romberg



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Berhardine und Bernhard Hildebrand-Romberg an Spohr, 28.07.1850. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Berhardine Hildebrand-Romberg an Spohr, 08.01.1851.

[1] Sic!

[2] Bernhard Romberg.

[3] „Cello“ über der Zeile eingefügt.

[4] „gemeinsame“ über der Zeile eingefügt.

[5] Sic! Offensichtlich Moritz Ganz.

[6] „mit“ aus „ich“ korrigiert.

[7] Alexander Hildebrand.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (15.07.2024).