Charles Oberthür an Louis Spohr in Kassel

Hochverehrtester Herr Capellmeister!

Obgleich ich nicht die Ehre habe Ihnen persönlich bekannt zu sein, noch mich durch anderweitige Empfehlung bei Ihnen einführen kann – so ermuthigt mich doch das Bewußtsein, daß Sie geehrter Herr Capellmeister schon vielen Kunstjüngern freundlichst die Hand geboten haben. Diese Zeilen an Sie zu sichten, und darin ergebenst anzufangen: ob Sie mir erlauben möchten Ihnen die Partitur meiner Oper, Floris von Namur (Text von Gollmick) zu gefälliger Durchsicht übersenden zu dürfen. Diese Oper wurde im Monat März dJ. zweimal auf hiesiger Bühne gegeben, und fand ungeachtet der armseligen Ausstattung, die man leider für die Oper einheimischer Componisten stets für gut genug hält, doch beifällige Aufnahme¹ – es wäre mir nun natürlich sehr viel daran gelegen die Partitur der Prüfung eines Meisters übergeben zu dürfen, von dem ich so viel Achtung und Verehrung fühle, wie von Ihnen geehrter Herr Capellmeister – und vermöchten Sie in dem Werk einiges Verdienst und ernstliches Streben zu erkennen so würde ein solches Urtheil von Ew. Wohlgeboren, einer Weiterverbreitung meiner Oper nicht nur höchst nützlich sein – zugleich mir aber auch die beruhigendste Entschädigung bieten, für die Anfeindungen, wodurch Neid und Vorurtheil mich zu kränken und ruinirten streben.
Es ist möglich daß Herr Amtsrath Lüder von Cattlenburg, vor einigen Jahren meiner bei Ihnen erwähnte – indeß wenn das auch nicht wäre, habe ich doch das Vertrauen, daß Sie mein Gesuch nicht übel nehmen werden, indem ich nochmals wiederhole wie ungemein schätzbar Ihre freundliche Unterstützung mir sein würde.
Mit ausgezeichneter Hochschätzung habe ich die Ehre zu sein

Ew. Wohlgeboren
ganz ergebenster
Ch^les Oberthür

Wiesbaden 11. August 1850.