Autograf: Universitätsbibliothek Kassel – Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Ems d 5t Juni 1850.

Mein hochverehrter Herr Kapellmeister,

Mit recht bangem Herzen trennten wir alle drei1 uns am Donnerstag von Ihnen und Ihrer lieben Frau Gemahlin, und das schmerzliche Gefühl wollte uns lange nicht verlassen, wir dachten nur an Sie, wir sprachen nur von Ihnen und der unendlichen Güte mit der Sie Beide sich unser bei jeder Gelegenheit angenommen haben. Ganz fremd trafen wir in Cassel ein, durch Sie selber, so wie durch alle diejenigen die Ihrem Hause nah stehn und Ihnen befreundet sind, ward uns die freundlichste Aufnahme zu Theil und nehmen wir viel angenehme Erinnerungen mit uns hinweg. Ich möchte so gern Ihnen meinen Dank aussprechen für Ihre Liebe und Güte und besonders für die aufopfernde Liebe für meinen Bernhard, mein Dank der nur mit meinem Leben endet, aber alle Worte sagen Ihnen zu dürftig nur was ich empfinde. Nachdem Sie beiderseits so freundlich uns das Geleit gegeben hatten und unsern Blicken entschwunden waren, lag auch uns zu bald das liebe Cassel weit hinter uns, doch bleibt die Gegend noch lange lieblich und schön. Nach einer wenig erquicklichen Fahrt am zweiten Tag im sehr besetzten Postwagen von Hitze und Staub geplagt, langten wir Abends gegen 10 Uhr hier an. Wir machten noch einige vergebliche Versuche gleich eine passende Wohnung zu finden, mußten aber unsre Wanderung am andern Morgen erneuern, nachdem wir die erste Rast im Wirtshaus zugebracht hatten. Wir fanden ein freundliches Logis in der Wilhelmsburg für uns und meine Mutter, die wir täglich erwarten können. Auch Frau von Jülich erwarte ich morgen. Sie lieber Herr Kapellmeister rüsten sich nun auch bald zu Ihrer Reise, und gehen einer recht vernüglichen Zeit entgegen, Freude bringend wohin Sie gehn und bei wem Sie eintreten. Wie stolz werden die Breslauer sein den lieben großen Meister nach so langer Erwartung endlich bei sich aufnehmen zu können.
Der lieben Frau Kapellmeister sende ich meinen besten Grund und meinen innigsten Dank für Ihre mir so vielfältig bewiesene Liebe und Theilnahme, möchte sie auch in der Ferne meiner nicht ganz vergessen.
Und nun guter lieber Meister sage ich Ihnen für heut ein herzliches Lebewohl, sehn Sie Herr und Frau von Malsburg so bitte empfehlen Sie mich ihnen wie unsern andern Freunden in Cassel. Meine Tochter sendet ihren besten Gruß.
Behalten Sie in freundlichen Andenken
Ihre

stets dankbar und Sie hochschätzende
Bernhardine Hildebrand
geb. Romberg.


Mein lieber Herr Kapellmeister,

Nun ist sie entschwunden, die schöne Zeit, wo ich Ihren Unterricht genoß, sie verging leider nur zu schnell. Nicht genug kann ich Ihnen aussprechen, wie unendlichen Dank ich Ihnen schulde für die Nachsicht womit Sie mir meine Fehler verziehen und mich auf den rechten Weg zurückführten; wie könnte ich auch nur einen Augenblick so viel Liebe und Güte vergessen? Indes Ihre Worte, eine jede Ihrer Lehren ist mir tief in’s Herz gegraben und kann mir meinem Gedächtniß entschwinden. Wie lange schon vorher freute ich mich immer auf die schönen Nachmittagsstunden, die ich bei Ihnen zubringen würde, in denen ich Ihre Rathschläge hören würde, von denen ein jeder für mich ein Orakel war; und wie vergnügt kam ich von Ihnen zurück nach Hause, wenn ich glaubte, daß Sie zufrieden gewesen waren. War mein Mund auch zu schwach, um alles das auszudrücken, was ich so innig, so tief empfand, so glauben Sie, daß ich stets nur das Gefühl der größten Dankbarkeit für Sie hatte und daß die Ehrfurcht gegen den großen Meister mich verstummen ließ. Es war ein schöner Traum, den ich durch Sie in Cassel verlebte; Sie haben mir dieses Städtchen recht lieb und werth gemacht. Wir waren am Tage unserer Abreise, am Donnerstage, alle drei den ganzen Abend keines anderen Gedankens fähig, als an Sie, daß wir Sie nun so bald nicht wiedersehen sollten, es fiel uns recht schwer auf das Herz. Unterwegs achteten wir sorgfältig auf die Stellen, die Sie uns als interessant bezeichnet hatten, wie die Ruinen bei Gensungen und die Fulda-Brücke. Wir mußten die Nacht in Marburg im Wirthshause bleiben, weil sich die Post nicht an den Eisenbahnzug anschließt. Am Freitag gingen wir des Morgens um 4 Uhr mit dem Eilwagen weiter und fuhren den ganzen Tag ununterbrochen bis auf den Abend um 9 ½ Uhr, wo wir endlich in Ems anlangten. Dies war eine sehr unangenehme Fahrt, da der sehr enge Postwagen ganz voll war und wir von Staub und Hitze fürchterlich geplagt wurden, so daß wir ganz erschöpft und mit einem grauen Überzuge von Staub in Ems ankamen. Wir stiegen in einem Wirthshause ab und Mama2 und Bernhardine gingen am andern Morgen darauf aus, eine Wohnung zu suchen und fanden auch nach einigem Umherirren eine recht hübsche, wo wir uns jetzt befinden. Mama gebraucht noch eine Vorkur, ich habe aber schon angefangen zu trinken und mir die Gegend anzusehen, weil man bei der Kur viel gehen muß; auch befinde ich mich hier außerordentlich wohl.
Indem ich Sie ersuche, Frau Kapellemeister, Herrn und Frau von Malsburg, Bott, Knoop und Kömpel recht herzlich von mir zu grüßen, bitte ich Sie, in freundlichem Andenken zu behalten

Ihren auf ewig dankbaren Schüler
Bernhard Hildebrand.

Ems
den 5ten Juni 1850.

Autor(en): Hildebrand-Romberg, Bernhard
Hildebrand-Romberg, Bernhardine
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Bott, Jean Joseph
Jülich, (Frau) von
Knoop, Huldreich
Kömpel, August
Malsburg, Caroline von der
Malsburg, Wilhelm von der
Schmidt, Bernhardine
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte: Ems
Gensungen
Kassel
Marburg
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1850060543

Spohr



Der nächste erhaltene Brief in der Korrespondenz mit Bernhardine Hildebrand-Romberg ist vom 28.07.1850, der nächste erhaltene Brief in der Korrespondenz mit Bernhard Hildebrand-Romberg ist vom 28.08.1850.

[1] Neben den beiden Briefautoren die Tochter bzw. Schwester Bernhardine, später verh. Schmidt.

[2] Hier gestrichen: „und Mama“.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (15.02.2024).