Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Sr Wohlgeboren
Herrn Komponisten
L. Spohr
zu
Hessen Kassel.


Freiburg den 30ten Januar.
1850.

Hochgeehrtester Herr Komponist!

Sie erhalten hier von einem Ihnen Unbekannten, eine Ouverture und ein Duett – Beides für Orchester – mit der Bitte, dieße ersten Ergebnisse meiner Anstrengungen und Forschungen auf dem Gebiete der Tonkunst, der ich mit ganzer Seele zugethan bin, durchzusehen und mir Ihr Urtheil darüber zu schreiben.
Ich bin gerade, offen und kein Freund von langen Kanzleinoten, noch viel weniger von widrigen Schmeichelein, und ich bin jezt überzeugt, daß Sie in dießer Beziehung mit mir übereinstimmen, da ja gerade das ein charakteristisches Merkmal aller großen Geister ist, daß sie auf den guten, inneren Kern, nicht auf die schmuzige äußere Hülle sehen, - deshalb spreche ich mit Ihnen offen, schmucklos, mit Vertrauen und gerade so, wie ich mit meinem einzigen Freunde spreche.
Von meiner frühesten Jugend an bis auf dießen Augenblicke (d.i. auf mein 17tes Jahr) ist mein von Natur aus in mir schlummerndes Talent, die Quelle, aus der ich fast allein schöpfte, um meinen Durst nach Vervollkommnung auf dem Gebiete der Musik, zu stillen.
Mein einziges Instrument auf dem ich einige Fertigkeit besitze, ist, außer einem bischen Flöte (u. der Tonleiter aus C Dur auf der Violine) die Guittare.
Klavier kann ich nicht.
Vor meinem Vater, der, obgleich gut musikalisch gebildet, in meinem Eifer für Musik und in meinen frühen Notenschreibereien nur eine Verschwendung der Zeit und eine Vernachläßigung meines Studiums erblickte, hielt ich Alles geheim, bis vor etwa einem halben Jahre, wo ich in den Ferien ein Terzett für eine Floete, eine Violine und eine Guittare in seiner Gegenwart aufführte.
Dies Terzett machte einen solchen Eindruck auf ihn, daß er mir bewegt die Hand drückte, meinen eigenen Styl lobte und mich aufmunterte, mich in der Musik weiter auszubilden, jedoch ohne mein Studium zu vernachlässigen. Das war mehr als ich erwartet hatte u. seelenvergnügt wanderte ich wieder in die Schule, obgleich meinem dringenden Verlangen Klavier zu lernen nicht entsprochen werden konnte, da bei unserer großen Familie und bei dem Kostenaufwand, den mein Studium verursacht, die Mittel keine neuen Auslagen erlauben.
Ich habe mich bisher schon an vielen kleinen Werken, u. vor einigen Wochen an der Ouvertüre zu meiner begonnenen Oper, so wie auch an einem Duett aus derselben für's ganze Orchester (die Kenntniß des Orchester's verschaffte ich mit aus dem Büchlein, betitelt: „Instrumentationskunst von Berlioz“1) versucht.
Ohne Aussicht, diese Versuche, die ich Ihnen hier sende, u. vielleicht die ganze Oper, wenn ich sie vollendet habe, je einmal zur Aufführung bringen zu können; Ohne Aussicht also auf irgend einen Fortschritt, und von Zweifeln über den Werth dieser Versuche geplagt, stehe ich hier als ein 2ter Herkules am Scheidewege und blicke trostlos nach einem Führer, der mich leitet, und suche vergebens eine Ariadne, die mir mit ihrem Faden aus meinem wirklich daedalischen Labyrinth heraushilft.
Was nun diese ersten Versuche betrifft, so sind hier nur „drei“ Fälle möglich:
Entweder sind sie, nach Ihrer Ansicht „schlecht“;
oder die sind „mittelmäßig“
oder sie sind „gut“.
Im ersten Falle gehen alle meine Hoffnungen zu Grunde, und ich glaube nicht, daß ich in dießem Falle je einmal in meinem ganzen Leben wieder recht fröhlich werden kann; im 2ten Falle werde ich, je nachdem Sie dafür stimmen, entweder Alles aufgeben, und dann tritt der 1te Fall ein, oder ich werde mich mit größtem Fleiße bestreben, mehr zu leisten; im 3ten Falle, wenn Sie namlich aus meinen Ideen u. der Bearbeitung derselben (die Sie freilich nach dem Grade meiner Ausbildung beurtheilen müssen) auf ein vorhandenes Talent schließen können, wenn Sie ich für fähig halten, nach empfangener Ausbildung, meine begonnene Oper zu vollenden, um sie dann mit Ehre der Welt übergeben zu können, dann mein Spohr – verzeihen Sie einem glücklichen Jünglinge dießen Anflug von Baigeisterung2, in der er die ganze Welt an seine hochschlagende Brust drücken möchte, in der er in jedem Menschen einen Bruder oder eine Schwester zu erblicken glaubt,– dann gewähren Sie mir die Bitte, (ich weiß ich belästige Sie nicht, – Sie gründen ja mein ganzes Lebensglück) und schreiben Sie meinem Vater, der von All' dem nichts weiß, schreiben Sie ihm, daß er mich zu sich nimmt, mich in der Musik besser ausbilden läßt und nur 1 Jahr mir Zeit gibt, mich ausschließlich der Musik zu widmen, und ich will meine Oper in dieser Zeit vollenden.
Je bälder Sie mir schreiben, desto lieber ist es mir, – doch ich will Sie hierin nicht drängen. Da ich wenig Zeit habe zur Musik, so bitte ich Sie, mir wegen der schlechten Notenschreiberei nicht zu zürnen, da es mir nicht möglich war, sorgfältiger zu schreiben. Die Noten dürfen Sie mir nicht mehr zurückschicken.
Leben Sie wohl, seien Sie glücklich!

Ihr unbekannter Freund
Fr. Keppner

Die Adresse an mich ist:
An
Lyceisten Franz Keppner
in No 173 Unterlinden
zu
Freiburg
Im Breisgau.

Die Adresse an meinen Vater ist:
Hr
Physikus J. Keppner
Walldürn
Im Odenwald.

Autor(en): Keppner, Franz Joseph (Sohn)
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Berlioz, Hector
Keppner, Franz Joseph (Vater)
Erwähnte Kompositionen: Keppner, Franz Joseph : Oper
Keppner, Franz Joseph : Trios, Fl Vl Git
Erwähnte Orte:
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1850013046

Spohr



Spohr beantwortete diesen Brief am 19.02.1850.

[1] Vermutlich die Ausgabe Hector Berlioz, Die Kunst der Instrumentirung, übers. v. Johann Adolph Leibrock, Leipzig 1843.

[2] Sic!

Kommentar und Verschlagwortung, sofern in den Anmerkungen nicht anders vermerkt: Wolfram Boder (23.09.2019).