Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

An Seine Wohlgeboren
Herrn Louis Spohr
Hofkapellmeister, Dr der Mu-
sik, Ritter des Ludwigordens
&c.
zu
Cassel
in Hessen1


Wildhaus bei Marburg in
Steiermark am 14. December 49

Hochgeehrtester Freund!

Ich kann Ihnen gar nicht beschreiben, wie wohl mir Ihr lieber Brief gethan hat und wie sehr ich Ihnen dankbar dafür bin. Zürnen Sie mir deßwegen nicht, daß ich ihn so spät beantworte; ich lebe noch immer auf dem Lande gezwungen, bedeutende Reformen in meiner ausgedehnten Wirthschaft zu machen, mich mit großen und kleinen Ersparungen, neuer Einrichtungen zu beschäftigen, nur durch die Blätter und einige seltene Briefe mit der Kunstwelt in einiger Verbindung in einer zwar pittoresken Gegend ganz bequem existirend, aber fast ganz ohne erheiternden und fördernden Umgang. Der Mensch wird dann furchtsam und blöde, besorgt, langweilige Briefe zu schreiben und handelt lange mit sich selbst, bis er die Feder in die Hand nimmt.
Da ich unter diesen Umständen nur einige Kleinigkeiten, ein Paar Lieder, einige Gesangübungen zu Tage fördern im Stande war, man aber dennoch nach Schiller’s Ausspruche: Beschäftigung, die nie ermattet2, und etwas haben muß, das vorwärts geht, so habe ich mich, von dem Geschrei der Slavischen gelangweilt, auf die Illirische Sprache geworfen und denke, ein Paar sogenannte classische Meisterwerke zu übersetzen, eben um mit Sachkenntniß beweisen zu können, daß die Literatur dieser Völker ganz in der Kindheit und einer Wiedererweckung nicht würdig ist. Ich trage so gern mein Scherflein dazu bei, daß alle Völkerschaften in Oesterreich sich mit Stolz Oesterreicher und somit auch künftig Deutsche nennen; so wie es mich sehr freuen würde, wenn Wiener, Berliner, Sachsen, Hessen, Würtemberger u.s.w. sich mit Selbstgefühl Deutsche, statt Oesterreicher, Preußen u.s.w. nennten. Wir ahmen den Franzosen so viel Schlechtes und Albernes nach, warum nicht das Gute? Der Nord-, Süd-, West- und Ostfranzose sagt stolz: je suis Français und in dieser Verwirrung erinnere ich mich gern daran, daß ich ein Belgier bin, denn meine Landsleute benehmen sich musterhaft.
Mit großem Vergnügen denke auch ich der mit Ihnen in Carlsbad verlebten glücklichen Tage und freue mich sehr Ihre neuen Compositionen zu hören. Sie sind sehr fleißig, ein großer Genius für die wahre Kunst, die jetzt vielfach vor der Charlatanerie verdrängt wird; die Clavierspieler hüpfen hin und herauf den Tasten; heben die Dämpfung so, daß man nur ein Chaos vernimmt und können weder Mozart noch Beethoven mehr spielen.
Meine Frau dankt vielmals für Ihre freundliche Er[in]nerung und läßt sich Ihnen und Ihrer Frau Gemahlin so wie ich herzlichst empfehlen. Wenn Sie die Baronin von der Malsburg sehen, so bitte ich, sie schönstens von mir grüßen zu wollen. Zugleich wünsche ich uns allen ein glücklicheres Neujahr 1850. Meine Sinfonie empfehle ich Ihnen bestens, möge sie Ihnen nicht mißfallen, dies wäre mein schönster Lohn. Nur bitte ich, den ersten Satz 6/8 Takt mäßig zu nemen, damit besonders die Blasinstrumente die Figuren deutlich und gerundet ausführen können. Ich sehe mit Freude fernern Nachrichten von Ihnen entgegen und bin mit wahrer Hochachtung und Freundschaft der Ihrige
Lannoy

Autor(en): Lannoy, Eduard von
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Malsburg, Caroline von der
Erwähnte Kompositionen: Lannoy, Eduard von : Sinfonien, op. 66
Spohr, Louis : Quartette, Vl 1 2 Va Vc, op. 141
Spohr, Louis : Sextette, Vl 1 2 Va 1 2 Vc 1 2, op. 140
Spohr, Louis : Trios, Vl Vc Kl, op. 142
Erwähnte Orte: Karlsbad
Wildhaus bei Marburg an der Drau
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1849121445

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf einen derzeit verschollenen Brief von Spohr an Lannoy. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Lannoy, 24.09.1850.

[1] Auf dem Adressfeld befindet sich rechts oben der stark verwischte Poststempel „[???] / [???] / 12 / [???]“, links unter dem Adressfeld der Stempel „D.4 / 23/12“.

[2] Vgl. Friedrich Schiller, „Die Ideale“, in: Schillers Lieder von der Glocke, der Taucher, die Ideale und Schubarts Ode, S. 53-60, hier S. 60.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit nicht in den Anmerkungen anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (19.11.2021).