Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Hochverehrter Herr Kapellmeister!

Bewahren Sie mir noch ein ganz kleines Plätzchen in Ihrem mir so unschätzbaren Andenken? – Erinnern Sie sich noch der armen Kranken, für die Ihre freundlichen Besuche ein wohlthuender Lichtstrahl in ihrem Gefängniße waren? – und werden Sie mir nicht gönnen, wenn ich es wagen darf, Ihre gütige Erlaubniß benützend, Ihnen, hochgeschätzter Herr Doktor, mit hoher Verehrung und inniger Freundschaft, die ersten Lieder zu widmen, welche ich mit großer Bangigkeit in die Welt sende? – Wohl sorge ich mich: ob die Schülerin, welche noch auf der untersten Stufe des Wißens steht, es wagen dürfe, dem hohen Meister, der sich das Geisterreich der Melodien erschlossen hat, ihre ersten Versuche zu überreichen? – Aber es ist mir, als seyn eben dieser große Name eine Aegide unter deren Schutz, mir die freundliche Nachsicht aller Menschen zu Theil werden müße und darum vergeben Sie mir wohl! –
Die Herausgabe kam mir sehr unerwartet. Einige meiner kleinen Lieder wurden in Wien in einem Concert gesungen, freundlich aufgenommen, und mir zugleich der Antrag des Verlegers Glöggl gestellt sie aufzulegen, jedoch mußte in 8 Tagen alles abgeliefert sein. Meine Freunde und Bekannten, draengen darauf daß ich den Antrag annehmen möge, und so kam das Alles früher, als ich es glaubte und wünschte, denn ich wollte gern einige meiner neuern vielleicht etwas weniger schlechten1 Lieder wählen, allein ich hatte sie nicht genugsam geprüft, und mußte mich an die älteren halten. Sie werden nächstens erscheinen, und wie ich glaube, diesem Briefe, bald nachfolgen.
Auch in diesem Monate will der Cäcilien-Verein die 4 letzten Dinge zur Aufführung bringen, worauf ich mich unbeschreiblich freue.2 (Selig sind die Todten) wurde vor einigen Wochen, einzeln, in einem Requiem für den geschätzten Musikhändler Hoffmann anstatt der gewöhnlichen Animas fidelium gegeben.3 Wie milde und nährend und verklärt ist das, lieber Kapellmeister! Es leuchtet ein Strahl von Jenseits daraus hervor! – Faust kömmt nächstens neu einstudirt zur Aufführung worauf ich mich herzlich freue. Fräulein Bergauer welche Sie in Carlsbad hörten4, singt das Röschen. Von neuen Opern erschien nichts als Haydée von Auber, welche allgemein mißfiel.5 – Die Franzosen vor Nizza vom Direktor Kittl, werden immer mit Vergnügen gehört und machen stets ein volles Haus.6 Vom Kapellmeister Skraup soll auch eine neue bömische Oper auf das Repertoir kommen.7 Seine liebenswürdige Frau ist eine geborene Kleinwächter mit welcher ich vielen Umgang habe. Wie oft wird Ihr Name, Herr Doktor da mit Liebe und Verehrung genannt! – Herr Skraup ist ein tüchtiger, umsichtiger Kapellmeister und ein sehr schätzenswerthes Haupt für unser ausgezeichnetes Orchester. Noch ist es ungewiß, ob das Wiener Conservatorium fort bestehen, oder eigentlich wieder erstehen wird. Der Hof will, wie man sagt, järlich 10000 fl. dazu bestimmen, jedoch sollen die Schulden der Institute so bedeutend sein, daß damit noch nicht gehofen ist.
Empfangen Sie noch einmal die Versicherung, Herr Kapellmeister, daß ich die wenigen Stunden, die es mir vergönnt war in Carlsbad in Ihrer Gesellschaft zu verweilen8, zu den glücklichsten meines Leben machen, empfehlen Sie mich dem gütigen Andenken Ihrer Frau Gemahlin, und nehmen Sie freundlich die Huldigung auf, die ich aus vollem Herzen, Ihrem hohen und edeln Genius weihe! – Die Gelehren im Gebiete der Tonkunst können, Herr Doktor, Ihr tiefes Wißen, wohl noch weit beßer ermeßen, als ich – aber die Seele, der Geist, der in Ihren Werken athmet, empfinden und herausfühlen, kann gewiß niemand inniger als ich! –
Mit der größten Werthschätzung und Hochachtung
Herr Kapellmeister.

Ihre Sie wahrhaft
verehrende Elise
Gräfin Schlik
Ehrenstiftsdame

Prag am 6ten
Dezember 1849
Neue Allee Nro 61



Spohr beantwortete diesen Brief am 19.12.1849.

[1] Hier gestrichen: „schlechten“.

[2] Vgl. „Zweites Koncert des Cäcilienvereines“, in: Bohemia 16.12.1849, nicht paginiert.

[3] Vgl. „[Freitag den 5. Oktober]“, in: ebd. 04.10.1849, nicht paginiert.

[4] Vgl. „Karlsbad, 1. August“, in: ebd. 03.08.1849, nicht paginiert.

[5] Vgl. „Deutsche Vorstellung“, in: ebd. 29., nicht paginiert, und 30.11.1849, nicht paginiert.

[6] Vgl. „Deutsche Vorstellung“, in: ebd. 23.10.1849, nicht paginiert.

[7] Vgl. „[Herr Kapellmeister Franz Škraup]“, in: ebd. 02.09.1849, nicht paginiertv

[8] Beleg in Marianne Spohr, Tagebuch muss noch nachgetragen werden.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (20.01.2023).