Autograf: derzeit verschollen
Abschrift: Niedersächsisches Landesarchiv Wolfenbüttel (D-Wa), Best. 299 N Nr. 157 (vgl. Arcinsys, dort verschwunden; Mikrofilm in D-Ksp)
Druck: [Paul Zimmermann], „Louis Spohr und Braunschweig“, in: Braunschweigisches Magazin (1909), S. 109-117, hier S. 114

Cassel, den 7ten October 1849.
 
Geliebte Rosalie,
 
Schon längst wollte ich Dein liebes Briefchen beantworten, stand aber immer wieder davon ab, weil ich kein geeignetes Manuscript, weder für Dich noch für Herrn Litolff auffinden konnte. Alle meine sauber geschriebenen Manuscripte sind in den Händen der Verleger u. die wenigen, bei denen es mir gelang sie zurückzuerhalten, schon längst verschenkt. Es ist mir nicht geblieben als einzelne Blätter der ersten Entwürfe meiner Kompositionen u. will ich Euren Wunsch nicht ganz unberücksichtigt lassen, so muß ich mich schon entschließen zu diesen meine Zuflucht zu nehmen. Ich wähle daher für Herrn Litolff ein Blatt meines neuen eben vollendeten Clavier-Trios, muß dich aber bitten, mich bei ihm zu entschuldigen, daß ich ihm ein so unsauber geschriebenes u. mit häufigen Correkturen versehenes Blatt sende. Vielleicht interessirt es ihn jedoch zu sehen, wie ich das beim Erfinden Niedergeschriebene vor der Reinschrift noch ausfeile u. Hin u. Wieder ändere. Für Dich lege ich den Entwurf eines Liedes bei, welches in meinem1 Wiener Album abgedruckt u. in Braunschweig wahrscheinlich nicht bekannt geworden ist.2
Deine neuesten Fortschritte im Harfenspiel denke ich mir sehr bedeutend, denn ein Bekannter, der Musikdirektor Wehner in Göttingen, der Dich ohnlängst hörte, ist ganz entzückt von Deinem Spiel gewesen, u. hat versichert, nie etwas Vollendeteres auf dem Intrument gehört zu haben! Möchte ich nun auch recht bald einmal wieder Gelegenheit haben, Dich zu hören, denn ich nehme an Deiner künstlerischen Ausbildung den innigsten Antheil.
Eures Verlustes3, den wir tief mit empfunden haben, möchte ich lieber garnicht erwähnen, um die Wunde nicht von neuem aufzureißen, drängte es mich nicht, Euch alle und besonders Deine liebe Mutter unserer innigsten Theilnahme zu versichern.
Lebe wohl meine gute Rosalie und gedenke freundlich Deines Dich liebenden Onkels
 
Louis Spohr.

Autor(en): Spohr, Louis
Adressat(en): Spohr, Rosalie
Erwähnte Personen: Johannsen, Bertha
Litolff, Henry
Spohr, Agnes
Wehner, Arnold
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Lieder, Sgst Kl, WoO 110
Spohr, Louis : Trios, Vl Vc Kl, op. 142
Erwähnte Orte:
Erwähnte Institutionen: Hoftheater <Kassel>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1849100700

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf einen derzeit verschollenen Brief von Rosalie Spohr an Louis Spohr. Der nächste überlieferte Brief dieser Korrespondenz ist Louis Spohr an Rosalie Spohr, 07.05.1850, aus dem sich noch ein derzeit verschollener Brief von Rosalie Spohr an Louis Spohr erschließen lässt.
[Ergänzung 19.07.2023: Auf der Abschrift befindet sich von Rosalie Spohrs Hand der Vermerk: „Dem nachstehenden Brief schenkte ich im Original von Louis Spohr nach London an Herrn Horley Sedley place 6 als Geschenke den 5. Feb. 1898.“]
 
[1] Im Autograf vermutlich „einem“.
 
[2] Die Erwähnung des „Wiener Albums“ deutet auf „Gruss“ WoO 110 (erschienen in: Album für Gesang, Bd. 4, hrsg. v. Rudolf Hirsch, Wien 1844).
 
[3] Kommentar Zimmermann: „Die Worte beziehen sich auf den Tod der ältesten Schwester Rosaliens, Agnes‘, die mit dem Dr. med. Topp verheiratet und in Cincinnati am 1. Juli 1849 gestorben war.“
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (12.04.2017).