Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Hochgeehrtester Herr General-Musikdirector,

Ihr sehr geehrtes Schreiben vom 15t August hat mir ein neues Dasen verliehen. Daß Sie mit meiner Composition1 zufrieden sind und mich der hohen Ehre gewürdigt, die Dedication derselben zu genehmigen, hat mich unaussprechlich glücklich gemacht. Kein anderes Ereigniß wäre geeigneter gewesen, mich aus dem Zustand der Muthlosigkeit zu reißen.
Für Ihre Güte und Nachsicht meinen Dank auszusprechen vermag ich nicht; aber in der Tiefe meines Herzens fühle ich ihn, und werde mein künftiges Leben nach Kräften dazu anweden, Ihre Zufriedenheit mir zu erhalten.
Seitdem ich mir die Freiheit genommen, Ihnen schriftlich mich zu nähern, habe ich mich an die Composition einer Symphonie gewagt. Derselben möchte ich, wo möglich, noch Andere folgen lassen. Um aber den rechten Weg nicht zu verfehlen, muß mir ein gerechtes Urtheil über diese erste Probearbeit von der höchsten Wichtigkeit seyn. Ein solches glaube ich nur von Ihnen erwarten zu dürfen und auch nur Ihrem Anspruch kann ich mit Vertrauen folgen.
In der Hoffnung, daß Sie, hochgeehrtester Herr, es nicht als ein Mißbrauch Ihrer Güte meinerseits erachten werden, erlaube ich mir daher, Ihnen die genannte Composition vorzulegen. Die in Wiesbaden mir wiederfahrende Zurücksetzung und sonstige für mich dort vorfindliche unangenehme Verhältniße machten es mir zur Pflicht, meiner Gemüthsruhe zu Liebe diese meine Vaterstadt unter allen Umständenzu verlassen, und zwar für immer. Zum Abschied arrangirte ich ein Conzert, durch das ich hoffte die nöthigsten Mittel zu erhalten auf gut Glück eine Wanderschaft antreten zu können, die mir zunächst meinen heißesten Wunsch, Sie, hochzuverehrender Meister, persönlich kennen zu lernen, erfüllen sollte.
Wenige Tage vor meinem Abschiedsconzert wurde mir der Antrag gemacht, die Leitung der deutschen Oper2 dahier zu übernehmen. Unter den gegenwärtigem Zustande in Deutschland glaubte ich ein Anerbieten, das mir wenigstens Aussicht auf eine Existenz für einige Monate versprach nicht von der Hand zu weisen zu dürfen, und nahm daher dasselbe an. Es war gut. Denn der Ertrag meines Conzerts deckte nur die Kosten desselben.3 Den Tag nach meinem Conzert reißte ich Rhein abwärts, schmerzlich bewegt, daß mich meine neue Bestimmung inn entgegengesetzter Richtung von dem Ort führt, wo Sie leben, wo mich mein ganzes Herz hinzeiht. Ich hege jedoch die frohe Hoffnung, daß mein höchstes Glück, Ihnen, hochverehrtester Herr, meine unterthänigste Aufwartung machen zu dürfen, mir nicht lange mehr vorenthalten bleiben soll.
Wie beneide ich diese Zeilen! O, dürfte ich sie doch begleiten!
Indem ich Sie recht sehr um gütige Entschuldigung bitte, daß ich Ihnen mit der Durchsicht beifolgender Partitur wieder neue Mühe verursache, empfehle ich mich

Hochachtungvoll
Ew. Wohlgeboren
tief ergebenster
Ed. Kunz.

Amsterdam den 28t Sept. 1849.

Autor(en): Kunz, Eduard
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen:
Erwähnte Kompositionen: Kunz, Eduard : Ouvertüren, c-Moll
Kunz, Eduard : Sinfonien, Nr. 1
Erwähnte Orte: Amsterdam
Wiesbaden
Erwähnte Institutionen: Felix Meritis <Amsterdam>
Hoogduitsche Schouwburg <Amsterdam>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1849092844

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf den derzeit verschollenen Brief Spohr an Kunz, 15.08.1849. Der nächste Brief dieser Korrespondenz ist Kunz an Spohr, 29.12.1849.


[1] Ouvertüre.

[2] Hoogduitsche Schouwburg.

[3] Vgl. „Wiesbaden, 11. Sept.“, in: Didaskalia 13.09.1849, nicht paginiert.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (06.12.2019).