Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Herrn Doctor und Capellmeister Spohr
in
Cassel.


Hamburg, d. 11 August 1849.

Hochgeschätzter Herr Doctor!

Wie soll ich den freudig-überraschenden Eindruck schildern, den Ihr so überaus freundliches und wohlwollendes Schreiben bei uns Allen bewirkte! Unsern herzlichsten, innigsten Dank dafür. Würde uns doch nur einmal Gelegenheit, Ihnen denselben auch durch die That zu beweisen! – Die Freude war für uns um so wohlthätiger, da sie uns grade während einer schweren Leidenszeit zu Theil ward. Mein Sohn1 leidet seit fünf Monaten an einem Fußübel, welches sich in letzter Zeit (in Folge verkehrter Behandlung eines Chirurgus „erster Classe“!) bedeutend verschlimmerte. Meine Frau muß schon seit längerer Zeit den Arzt gebrauchen. Einer meiner Brüder liegt bedeutend krank im Krankenhause. Ich selbst muß ebenfalls mediciniren. Dzu endlose Plackereien durch schlechte Dienstboten pp. –
Daß die traurigen politischen Verhältnisse diesmal nur einem kleinen Freundeskreise die persönliche Theilnahme an Ihrem schönen Festtage gestatteten, war leider zu besorgen. So würde z.B. auch mein Sohn unter anderen Umständen Ihnen sicher unsere Glückwünsche selbst überbracht haben. Doch, ich bin des Glaubens, daß auch Ihnen die stillen, gemüthlichen, häuslichen Freuden willkommener sind als die geräuschvollen des großen Publikums. –
Die Nachricht von Ihren neuen Arbeiten2 hat mich sehr erfreut, aber auch wehmüthig gemacht, da es hier jetzt so entsetzlich schwer fällt, solche Compositionen gut und genau ausführen zu hören. Ist meine Bitte nur nicht allzu unbescheiden, so mögte ich Sie ersuchen, mir die Partituren auf einige Zeit zur Copie gütigst (gelegentlich) zukommen zu lassen, damit ich die Werke doch wenigstens (vorläufig) in meinem Zimmer studiren pp. kann.
In Betreff meiner Cantate erlauben Sie mir noch die herzliche Bitte: doch bei der Ausführung derselben alle Sätze, die Ihnen nicht genügen oder irgend mißfällig seyn sollten, ganz nach Ihrem Gutdünken gefälligst zu verändern. Von den Stimmen lege ich vorläufig hier 60 Ex. (25 S. & A., 15 T. & 20 B.) nebst 6 Ex. der Partitur (oder des Auszuges) und eine Paukenparthie (die ich erst gestern eilig ausschrieb,) hier bei, mit der Bitte, dieselben behalten und ganz nach Gefallen vertheilen zu wollen. Einem Ex. des Auszuges (in dunkelm Umschlag) habe ich habe ich einige kleine Notizen für den Organisten beigefügt. Gern stehen Ihnen noch mehr Exemplare der Singstimmen (die noch nicht alle korrigirt sind,) und des Auszugs zu Diensten, und bitte ich für den Fall nur um gefälligen Bescheid. Die Parthien der Posaunen pp. werde ich in diesen Tagen ausschreiben und noch nachsenden.3 – Meine Original-Partitur nebst sämmtlichen (ebenfalls damals gedruckten) Stimmen sind – wie alle meine übrigen Sachen, – durch den Brand4 zerstört! Von meinem ganzen, so herrlichen Musikalien pp.-Schatze ist nichts weiter gerettet, als einige Orgel-Compositionen, die (nachdem5 1844 in Druck gegebene) Partitur pp. der Cantate, einige kleine Notizbücher u.a. Kleinigkeiten, die größtentheils durch meinen Sohn gerettet wurden. Die begleitenden Instrumente habe ich größtentheils nur zur Unterstützung der Singstimmen benutzt, die Zugtrompete mit dem Sopran, die 4 Posaunen mit den übrigen Stimmen, die Violonc. Und Contrab. Mit dem 2ten Baß. Die Arie N. 4 des ersten Theils, sowie das Quartett pp. N. 36 des 2ten Theils, sind nur mit Orgelbegleitung. Die Solosätze der begleitenden Instrumente sind überall in dem gedruckten Auszuge bemerkt. Bei der Aufführung der Cantate im J. 1830 muß ich noch bemerken: daß die alte (1842 verbrannte) St. N.7 Orgel – ein kostbares, herrliches Werk von 67 klingenden Stimmen! – fast um einen ganzen Ton höher als unsre Orchester-Stimmung stand. Die Parthien der begleit. Instr. pp. wurden dshalb um ½ Ton höher geschrieben. Doch – meyne ich – können dieselben ohne Nachtheil für die Lage der Singstimmen, auch einen ganzen Ton höher begleiten. –
Mein Bruder Carl, der sich seit mehren Jahren in Gratz in Steiermark aufhält, hat kürzlich die Freude gehabt, seine Messe bei der Einführung des dortigen Erzbischoffs in der kathol. Kirche daselbst, bei brillanter Erleuchtung, mit Ausschmückung der Kirche durch Blumen-Guirlanden pp. zu seiner Zufriedenheit aufführen zu hören. – Ein Quintett für 2 Geigen, Bratsche u. 2 Violoncells, welches er mir kürzlich schickte, habe ich noch nicht hören können, weil – die Leute hier nicht zusammen zu bringen sind! An schwachen, untauglichen Subjekten fehlt es zwar nicht, die aber dazu nicht genügen können.
Nochmals, hochverehrter Herr Doctor, meinen innigsten Dank für Ihre theilnahmvolle Güte! Mögen Sie Ihrer lieben Familie, Ihren zahlreichen Verehrern u. Freunden, so wie der armen, oft so greulich gemißhandelten Kunst als unsre Haupt- (ja fast einzige) Stütze noch recht lange kräftig erhalten bleiben! – Die freundlichsten Grüße auch Ihrer lieben Familie
von Ihrem getreuen

Freunde J.F. Schwenke nebst
Frau und Sohn.



Dieser Brief ist die Antwort auf Spohr an Schwencke, 07.08.1849. Der nächste Brief dieser Korrespondenz ist Schwencke an Spohr, 14.08.1849.

[1] Friedrich Gottlieb Schwencke.

[2] Op. 136, 140, 141 und 147 (vgl. Vorbrief).

[3] Vgl. Folgebrief.

[4] Der Hamburger Brand oder Große Brand zerstörte 05.-08.05.1842 große Teile der Hamburger Altstadt. Auch Schwenckes Bibliothek war den Flammen zum Opfer gefallen.

[5] „nachdem“ über der Zeile eingefügt.

[6] „N. 3“ über der Zeile eingefügt.

[7] Sankt Nikolai.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Wolfram Boder (11.12.2018).