Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Hochverehrtester Herr Generalmusikdirektor,
 
Einer inneren Neigung folgend wählte ich, nachdem mir mein Vater, Organist in der hiesigen evangelischen Kirche, in früher Jugend im Klavierspiel und in der Harmonielehre Ausbildung gegeben, Musik zu meinem Beruf. Nur zu bald aber sah ich mich in meiner weiteren Ausbildung hauptsächlich durch Entbehrung aller pekuniärer Mittel in sofern gehemmt, da ich der Militärpflichtigkeit nicht entrinnen konnte, und so mußte ich gerade die Periode, in welcher ein Talent seinen kräftigsten Aufschwung nehmen soll, in den darniederdrückensten Dienst eines Militärmusikers1 verleben. Sobald ich aus diesem endlich scheiden durfte, ging ich nach Brüssel, wo mir durch Verwendung eines Freundes bei Herrn Fetis der Zutritt in das Conservatoir gestattet wurde und wo mich ein glücklicher Zufall eine Anstellung im Theaterorchester finden ließ. Zwei Jahre lang genoß ich in der Classe des Herrn Fetis Unterricht dann verließ ich diese Stadt wieder und fungirte seitdem an den Theatern in Coblenz, Ulm, Elberfeld und Freiburg i/Br. als Musikdirector. Dieser Wirkungskreis ist es, zu dem ich besonders Neigung fühle; allein das Glück, mir nie hold, wollte es mir bis jetzt noch nicht gelingen lassen, eine Anstellung bei einem ständigen und bedeutendern Theater zu finden. Die eingetretene kritische Zeit zwang mich, von Freiburg hierher in meine Vaterstadt zurückzukehren. Die Hoffnung, bei der Concurrenz um die verfloßenen Herbst durch den Rücktritt des nun verstorbenen Hofkapellmeister Rummel erledigte Stelle bei hiesigem Theater, Theil nehmen zu dürfen, hielt mich hier. Das hiesige Theatercomité, in welchem für mich ungünstige Elemente vorhanden sind, wußte aber meine Hoffnung dadurch zu vereiteln, daß sie aus dem engagirten Chordirector2, obwohl ihnen derselbe von dem Orchester für total unfähig bezeichnet worden, dennoch einen Kapellmeister zu machen beschloßen, und durch die auch erfolgte Ausfertigung seines Contractes, jeder Concurrenz vorbeugten.
Schon in früher Jugend machten Ihre Compositionen, hochverehrtester Herr, den tiefsten Eindruck auf mich, der immer mächtiger wurde, jemehr sich mein Geschmack läuterte, und ich eigene Anschauung und Urtheil gewann. Mein höchster Wunsch war immer der, Sie einmal persönlich und wo möglich in Ihrem Wirken sehen zu können. So nahe dem Ort, wo der Mann meiner tiefsten Verehrung lebte, blieb dieser heiße Wunsch doch lange Jahre ungestillt, was mich meine Mittellosigkeit abermals schmerzlich empfinden ließ. Endlich, es war am 28t Juli 1847 – diesen Tag werde ich nie vergessen – erfüllte der in der ganzen Stadt erschallende Ruf: Spohr ist hier! mein sehnlichstes Verlangen. Die gütige Vorsehung hatte meine Schritte nach dem Kurgarten gelenkt und ließ mir so die Gnade angedeihen, den allerverehrtesten Meister von Angesicht sehen zu dürfen. Das mich damals ergriffene Gefühl werde ich nie mit Worte3 ausdrücken vermögen. Mein Glück wäre vollkommen gewesen, hätte ich mich Ihnen nähern und Ihnen meine Hochachtung und Verehrung stammeln dürfen. Wie beneide ich den Mann, in dem ich später Herrn Professor Firnhaber kennen zu lernen das Vergnügen hatte, dem es vergönnt war, an Ihrer Seite gehen und mit Ihnen reden zu dürfen!4 doch ich habe Sie nun gesehen und dafür bin ich dem Himmel ewig dankbar. Die Erinnerung an diesen Tag gewährt mir Trost für alles Erlittene und die Worte, welche, wie mir mitgetheilt wurde, Sie einst zu Fremden aufmunternd gesprochen „durch Kampf wird man stark“, werde ich mir in allen noch kommenden schweren Stunden zurufen – sie werden mich aufrecht erhalten.
Um Ihnen, hochverehrtester Herr, einen schwachen Beweis meiner unaussprechlichen Hochachtung und Verehrung für Sie zu geben, versuchte ich vor einiger Zeit beifolgende Ouverture zu componiren, in der Absicht dieselbe Ihnen zu dediciren. Wollen Sie mich dieser hohen Ehre würdigen, so üben Sie dadurch auf meine weitere Ausbildung gewiß den höchsten Einfluß aus. Ihre huldreiche Genehmigung meiner ergebensten Bitte wird mir für mein ganzes Leben die höchste Begeisterung verrleihen, und mit dieser neu ermuthigt und gestärkt, werde ich darnach streben, mein geringes Talent nach allen Kräften zu vervollkommnen.
Habe ich zu viel gewagt, indem ich mit dieser Bitte Ihnen nahe, so trage ich die beruhigende Ueberzeugung in mir, daß Sie gütige Verzeihung mir nicht versagen werden – ich folge nur meinem Gefühl.
Hochachtungsvoll
 
Ew. Wohlgeboren
ergebenster
Eduard Kunz.
 
Wiesbaden den 1t August 1849.

Autor(en): Kunz, Eduard
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Firnhaber, Carl Georg
Kirpal, Franz
Kunz, Jacob
Rummel, Christian
Erwähnte Kompositionen: Kunz, Eduard : Ouvertüren, c-Moll
Erwähnte Orte: Ansbach
Wiesbaden
Erwähnte Institutionen: Hoftheater <Wiesbaden>
Theater <Elberfeld>
Theater <Freiburg im Breisgau>
Theater <Koblenz>
Theater <Ulm>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1849080144

Spohr



Spohrs Antwortbrief vom 15.08.1849 ist derzeit verschollen.
 
[1] Sic!
 
[2] Vermutlich Franz Kirpal (vgl. Almanach für Freunde der Schauspielkunst 13 (1849), S. 286).
 
[3] Sic!

[4] Vgl. Marianne Spohr, Tagebucheintrag 28.07.1847.
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (05.12.2019).