Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Hamburg, d. 30 Juli 1849.
 
Herrn Doctor und Capellmeister Spohr in Cassel.
 
Hochgeschätzter Herr Doctor!
 
Nehmen Sie hierdurch die herzlichsten Glückwünsche von uns Allen zu Ihrem herrlichen Amtsjubiläum1. Möge dasselbe noch recht oft und froh und neben tröstlicheren Zuständen unseres deutschen Vaterlandes wiederkehren! – Der Wunsch, doch auch, wenn möglich, einen kleinen Beitrag zur Feier des schönen Tages zu liefern, veranlaßte die Mittheilung der unten folgenden Memorabilien, die Theils aus einem älteren (bei dem Brande2 durch meinen Sohn geretteten) Notizenbuche entlehnt, Theils aus dem Gedächtniß jetzt zusammengesetzt sind. Überaus würde es mich erfreuen, wenn diese Erinnerungen zu Ihrer Erheiterung beitragen könnten, wie sie mich so oft erheitert und erquickt haben! – Die hier beifolgende Arbeit bittet ebenfalls als ein kleines Andenken um freundliche Aufnahme.
Die freundlichsten Grüße von uns Allen auch Ihrer lieben Familie, und bittet um Ihr ferneres gütiges Wohlwollen insbesondere
 
Ihr aufrichtiger Freund
und Verehrer J.F. Schwenke.
 
 
Auszug aus den musikalischen Memorabilien von J.F. Schwenke
 
1811. Erster Besuch des Hrn. Capellmeister Spohr in Hamburg. Concert in G-moll. Sinfonie in Es-dur. Duos für Harfe & Violine. – 3stündige Unterhaltung auf unserer prachtvollen Michaelis-Orgel. Adagio aus dem Doppel-Concert f. 2 Violinen, arrangirt f. d. Orgel. –
 
1815. Musikfest in Frankenhausen. Orat: Das befreite Deutschland. Sinfonie3 von Mozart. – humoristische Abend-Unterhaltungen durch die Hrn. Müller & Methfessel aus Rudolstadt. – Concert in Gotha, veranstaltet durch Hrn. Cm. Spohr, zum Besten des Cantors Bischof in F. – Probe bei dem heitern, launigen Cantor Schade; Quintette und Quartette von A. Romberg & Spohr. 3stimmiger Canon von Beethoven, gesungen v. A. Rbg., Spohr & JFS. – Vortrefflicher Fruchtkuchen bei Spohr; Abschiedsbesuch.
 
1816 – 1819. Veranstaltung der Aufführung des Notturno, Nonetts u. Oktetts v. Spohr. Arrangements dieser Werke als Quintette f. Fortepiano pp., die Böhme & Cranz zum Druck übernehmen. Aufführung der 2ten Sinfonie in d-moll, die seitdem hier nicht wieder gegeben wurde! (?) Arrangement derselben als Septett; desgl. des ersten Doppel-Quartetts, als Quartett f. 2 Fortepiano zu 8 Händen. (Eine Aufführung des Originals hintertrieb damals Methfessel!) –
 
1819 – 1821. Besuch des Herrn Cm. S. in Hamburg. Mittheilung der Oper Zemire u. Azor, deren Partitur ich selbst kopire, und – in Folge des Aufführung des Hrn. Verfassers – einen Clavier-Auszug davon verfertige, den nachdem Cranz gedruckt herausgiebt. – Viermalige Aufführung dieser Oper, (bei Möglich, A. Meyer, Oppenheim u. in meinem Concerte im Logensaale,) mit ganzem Orchester. – Copien der Opern Pietro v. Abano u. der Berggeist. Alle diese Schätze raubte mir (1842) der furchtbare Brand. – Die Oper Faust, ebenfalls von mir kopirt, erhielt (1829) die Theater-Direction, d. Hrn. Schmidt & Lebrun, von mir gratis, wodurch zwar die Aufführung4 beschleunigt wurde; die Ausführung der Oper war dagegen durch die Leitung des Hrn. K.5 keineswegs begünstigt. – Mein 2maliger Besuch bei der Familie Spohr in Gandersheim6; tägliche Quartett- und – Billard-Uebungen. Kleine quasi Kunstreise pp. mit den Familien Spohr u. Grund, nach Seesen, Pyrmont, Alexisbad, Clausthal, Werningerode, (wo ein braunschweig. Sergeant den Hrn. W. Grund unter dem Vorwand: er sey mit brennender Pfeife durchs Dorf gegangen, arretiren wollte, was jedoch durch die kräftige Opposition des Hrn. Cm. S. verhindert wurde,) Frühstück auf dem Stufenberg7, der heitere Forstmeister v. Holleben8 & Bruder9 pp. – Bei dem Amtmann Lüdert auf Catlenburg im Harzgebirge, (in demselben Haue, wo meine Großeltern S.10 sich zuerst gesehn u. verlobt, u. in der Nähe der Kirche, wo mein Vater11 – als Erstgeborner – getauft,) wurden im August 1821 von dem Hrn. Cm. S. u. dessen Frau12, von dem Md. Hermstedt aus Sondershausen, E. Grund u. mir, während unsres dortigen Aufenthalts von 3½ Tagen, folgende Musikstücke ausgeführt: 1) Quart. v. Mozart in d-moll; 2) Quart. v. Spohr in c-dur13; 3) desgl. in c-moll14; 4) Trio v. Beethoven in b-dur, f. Fortep., Clar. & Vlcell; 5) Quint. f. Fp. pp. v. Spohr in c-moll; 6) Arie v. Spohr; 7) Lied (Rastlose Liebe,) von JFS. 8) dasselbe; 9) Clarinett-Concert v. Spohr in f-moll; 10) dasselbe; 11) Quart. v. Spohr in f-moll15; 12) Lied v. Spohr; 13) Quint. f. Clarin. pp. v. Mozart; 14) Quint. v. Spohr; 15) Violin-Duett v. Spohr in d-moll; 16) Clarin. Conc. v. S.16; 17) Variat. f. Fp. & V. v. S.17; 18) Sonate f. Fp. & V. v. J. Bach; 19) Quart. v. Haydn in g-moll; 20) Variat. v. S.; 21) Potpourri f. Clarin. v. S. in b-dur18, betitelt: der Sturm; 22) Variat. v. S.; 23) Quart. v. S. in h-moll19; 24) Violin-Duett v. S. in es-dur20; 25) Quart. v. S. in es-dur21; 26) Arie v. S.22; 27) Katzen-Cavatine v. Weyse; 28) Phantasien pp. v. Henrici! 29) 3 vierst. Lieder v. S.23; 30) Quart. v. S. in h-moll24. – Da ich einst im Dresdner Abendblatt ein „wahrer Spohroman“ genannt wurde, so fügte ich – bei'm Einschreiben in's Fremdenbuch – auf dieser Reise meinem Namen jenen Ehrentitel bei. – Auf Catlenburg wurde noch zum Abschied (am letzten Abend) in unseren Logis-Zimmern ein heiteres Spektakel-Concert, durch Mappen, Futterale pp. fortissimo ausgeführt. –
 
1828. Besuch des Hrn. Cm. Spohr & Frau. Gang nach der Michaelis-Orgel. Choral: „Wie schön leuchtet der Morgenstern pp.“, mit voller Orgel. Hr. S. äußert sich (mit meiner Ansicht übereinstimmend,) gegen den zu häufigen Gebrauch der 16füßigen Stimmen im Manual. – Doppel-Quartett v. Spohr25. –
 
1841. Hr. Cm. Spohr nebst Frau26 und Schwägerin27 in Hamburg, logirt bei Schuberth. Morgenbesuch bei uns; russische Nationalgesänge; Doppel-Fortepiano & Pedal. (Alles vertilgt durch den Brand!) – Abends 2 neue Quartette v. S., Quintett f. Fp. in c-Moll28. Aufführung der Oper Jessonda im Theater; Bekränzung des Componisten. – Duo f. Harfe & Violine, gespielt v. d. Hrn. Schaller & Spohr. – Fahrt nach Harburg. –

Autor(en): Schwencke, Johann Friedrich
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Beethoven, Ludwig van
Bischoff, Georg Friedrich
Grund, Eduard
Grund, Wilhelm
Hermstedt, Johann Simon
Holleben, Anton von
Holleben, Magnus von
Krebs, Karl August
Lebrun, Karl August
Lueder, Christian Friedrich
Methfessel, Albert
Meyer, Andreas
Möglich, Philipp Ludwig
Müller, Friedrich
Oppenheim (Hamburg)
Pfeiffer, Caroline
Romberg, Andreas
Schade, Johann Gottfried
Schaller, Johann Nicolaus
Schmidt, Friedrich Ludwig
Schuberth, Julius
Schwencke, Christian Friedrich Gottlieb
Schwencke, Friedrich Gottlieb
Schwencke, Johann Gottlieb
Spohr, Dorette
Erwähnte Kompositionen: Bach, Johann Sebastian : Sonaten, Vl Klav, BWV 1014-1019
Beethoven, Ludwig van : Trios, Klar Vc Klav, op. 11
Haydn, Joseph : Quartette, Vl 1 2 Va Vc, op. 74,3
Mozart, Wolfgang Amadeus : Quartette, Vl 1 2 Va Vc, KV 421
Mozart, Wolfgang Amadeus : Sinfonien, KV 551
Nicolai, Philipp : Wie schön leuchtet der Morgenstern
Schwencke, Johann Friedrich : National-Gesänge
Schwencke, Johann Friedrich : Rastlose Liebe
Spohr, Louis : Das befreite Deutschland
Spohr, Louis : Doppelquartette, op. 65
Spohr, Louis : Doppelquartette, op. 77
Spohr, Louis : Duos, Vl 1 2, op. 39
Spohr, Louis : Faust
Spohr, Louis : Jessonda
Spohr, Louis : Konzerte, Klar Orch, op. 57
Spohr, Louis : Konzerte, Vl 1 2 Orch, op. 48
Spohr, Louis : Konzerte, Vl Orch, op. 28
Spohr, Louis : Lieder, Sgst Kl, WoO 77
Spohr, Louis : Lieder, Ten 1 2 Bass 1 2, WoO 82
Spohr, Louis : Nonette, Fl Ob Klar Fg Hr Vl Va Vc Kb, op. 31
Spohr, Louis : Notturnos, op. 34
Spohr, Louis : Oktette, Klar Hr 1 2 Vl Va 1 2 Vc Kb, op. 32
Spohr, Louis : Pietro von Abano
Spohr, Louis : Potpourris, Klar Orch, op. 80
Spohr, Louis : Quartette, Vl 1 2 Va Vc, op. 45.1
Spohr, Louis : Quartette, Vl 1 2 Va Vc, op. 45.2
Spohr, Louis : Quartette, Vl 1 2 Va Vc, op. 45.3
Spohr, Louis : Quartette, Vl 1 2 Va Vc, op. 58.1
Spohr, Louis : Quartette, Vl 1 2 Va Vc, op. 61
Spohr, Louis : Quintette, Fl Kl Fg Hr Kl, op. 52
Spohr, Louis : Rondos, Vl Kl, op. 51
Spohr, Louis : Sinfonien, op. 20
Spohr, Louis : Sinfonien, op. 49
Spohr, Louis : Sonaten, Vl Hf, op. 113
Spohr, Louis : Sonaten, Vl Hf, op. 114
Spohr, Louis : Zemire und Azor
Weyse, Christoph Ernst Friedrich : Katzen-Cavatine
Erwähnte Orte: Alexisbad
Clausthal
Gandersheim
Hamburg
Harburg
Katlenburg
Pyrmont
Seesen
Wernigerode
Erwähnte Institutionen: Böhme <Hamburg>
Cranz <Hamburg>
Musikfeste <Frankenhausen>
Stadttheater <Hamburg>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1849073043

Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Schwencke an Spohr, 24.01.1847. Spohr beantwortete diesen Brief am 07.08.1849.
 
[1] Spohr hatte 1799 seine erste Stelle als Kammermusikus bei den zweiten Violinen in der Braunschweiger Hofkapelle angetreten. Das Anstellungs-Reskript war auf den 02.08.1799 datiert.
 
[2] Der Hamburger Brand oder Große Brand hatte 05.-08.05.1842 große Teile der Hamburger Altstadt zerstört. Auch Schwenckes Bibliothek war den Flammen zum Opfer gefallen.
 
[3] KV 551 (vgl. „[Das diemalige Musikfest in Frankenhausen]“, in: Allgemeine musikalische Zeitung 17(1815), Sp. 767-770, hier Sp. 770).
 
[4] Die Hamburger Erstaufführung von Spohrs Oper Faust fand am 11.12.1829 statt (vgl. Ludwig Wollrabe, Chronologie sämtlicher Hamburger Bühnen, Hamburg 1847, S. 179; zur Aufführung „Aus Haumburg, im Januar“, in: Zeitung für die elegante Welt 30 (1830), Sp. 294ff., 303f., 311f., 319f. und 327, hier Sp. 319f.).
 
[5] Karl August Krebs.
 
[6] Vgl. Louis Spohr, Lebenserinnerungen, Bd. 2, Tutzing 1968, S. 93, Text mit fehlerhafter Paginierung auch online; ders., Louis Spohr’s Selbstbiographie, Bd. 2, Kassel und Göttingen 1861, S. 110.
 
[7] Der Stufenberg (heute meist: „Stubenberg“) bei Gernrode.
 
[8] Karl Ludwig Anton von Holleben-Normann.
 
[9] Magnus von Holleben.
 
[10] Johann Gottlieb Schwencke.
 
[11] Christian Friedrich Gottlieb Schwencke wurde in Wachenhausen im Harz geboren.
 
[12] Dorette Spohr.
 
[13] op. 45.1(?).
 
[14] Es ist kein Streichquartett von Spohr in c-Moll bekannt. Möglicherweise meint Schwencke op. 45.2 in e-Moll.
 
[15] op. 45.3.
 
[16] Vermutlich op. 57, da Spohr im Sommer 1821 mit Vereinfachungen des Konzerts für die Herausgabe bei Peters beschäftigt war (vgl. Folker Göthel, Thematisch-bibliographisches Verzeichnis der Werke von Louis Spohr, Tutzing 1981, S. 101).
 
[17] Wahrscheinlich op. 51 (vgl. Louis Spohr, Lebenserinnerungen, Bd. 2, Tutzing 1968, S. 94, Text mit fehlerhafter Paginierung auch online; ders., Louis Spohr’s Selbstbiographie, Bd. 2, Kassel und Göttingen 1861, S. 111).
 
[18] Op. 80(?).
 
[19] Op. 61.
 
[20] Op. 39.2.
 
[21] Vermutlich op. 58.1.
 
[22] Wahrscheinlich „Liebe ist die zarte Blüte“ WoO 77.
 
[23] WoO 82.
 
[24] Op. 61.
 
[25] Vermutlich das 1827 entstandene Dopppelquartett op. 77.
 
[26] Marianne Spohr.
 
[27] Caroline Pfeiffer.
 
[28] Op. 52.
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Wolfram Boder (11.12.2018).