Autograf: Landeshauptarchiv Schwerin (D-SWa), Sign. 11.2 Autographen
Abschrift: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Herrn Kapellmeister
Aloys Schmitt
in
Frankfurt a/m

fro.


Cassel den 30sten Juli
1849.

Hochgeehrter Freund,

Soeben, nach einer 6wöchentlichen Abwesenheit, hieher zurückgekehrt, finde ich Ihr liebes Schreiben vorliegen und beeile mich, es zu beantworten. Ich habe zum 5ten Mal die Kur in Carlsbad gebraucht, um mein altes Leberübel auf einige Jahre wieder zu beschwichtigen. Auf der Hinreise war ich einige Tage in Leipzig, wo wieder wie vor 3 Jahren, vom Morgen bis zum Abend musicirt wurde. Leider fehlte uns diesmal Mendelssohn, der damals diese Musikparthien so zu beleben wußte. - Wie damals gab ich meinen dortigen musikalischen Freunden und Schülern (Moscheles, Hauptmann, David pp) auch diesmal meine neuen Kompositionen zu hören und hatte an deren genauer Ausführung, nachdem wir sie sorgfältig eingeübt hatten, große Freude. Ich spielte ein neues Violinquartett und das 4te Doppelquartett, beyde, nebst einem Sextett für Streichinstrumente soeben hier bey Luckhard erschienen. Das Doppelquartett wiederholten wir, auf Wunsch der Direction des Conservatoriums, am folgenden Tage vor Schülern und Schülerinnen dieses Instituts, zu welcher Production sich auch viele Leipziger Kunstfreunde als Zuhörer eingefunden hatten. Nun, von den Mitspielern schon genau gekannt, war die Ausführung wirklich untadelhaft und gewährte mir große Freude. Am Abend waren wir bey Moscheles, der eins meiner Trios und das Quintett mit Blasinstrumenten spielte. Ich trug einige meiner Salonstücke, die ich für die letzte Reise nach London geschrieben hatte vor, und zum Schluß hörten wir unten im Garten 4-stimmige Lieder von Mendelssohn, Hauptmann und mir, von dem Sängerchor des Conservatoriums, das mich mit einem Ständchen beehrte. Der Vortrag dieser Lieder war in Bezug auf Intonation, Betonung u.s.w. sehr ausgezeichnet und gab mir eine gute Idee von dem Gesangunterrichte des Instituts.1 Auch in Carlsbad haben wir, meine Frau und ich, fleißig musicirt und unsern dortigen musikalischen Bekanntschaften eine ganze Reihe von matinées musicales in unserer geräumigen Wohnung gegeben. Unter unseren Zuhörern befanden sich auch einige politischen Nobilitäten, Hansemann von Berlin und Simson aus Königsberg mit ihren Familien. mit ihnen machten wir auch tägliche Excursionen auf die Berge und in die Umgegend und gewannen sie wegen ihrer Liebenswürdigkeit sehr lieb.2 Simson zog mich auch noch durch gleiche politische Gesinnung sehr an.3
Daß Sie die Holländer lieb gewonnen, nimmt mich nicht wunder, denn auch ich lernte sie als eifrige Musikfreunde kennen, und obgleich ich4 seit 12 Jahren nicht dort war, so bin ich doch mit den vorzüglichsten dortigen Künstlern und Kunstfreunden in steter Verbindung geblieben. Eines so fortgesetzten Fleißes, wie Sie während unserer deutschen Revolution, kann ich mich aber nicht rühmen, denn ich ließ mich von der Aufregung so fortreißen, daß ich fast alle die Zeit, die ich sonst der Komposition widmete, beym Zeitungslesen vergeudet habe. Ja, ich fühlte mich so wenig aufgelegt zum Komponiren, daß ich eine andere Arbeit, die ich schon früher begonnen hatte wieder aufnahm,5 nämlich die meine Biographie zu schreiben. Damit habe ich mich auch in Carlsbad beschäftigt. Nun drängt es mich jedoch, einmal wieder einen Versuch mit der Komposition zu machen; nur weiß ich noch nicht, was es werden wird!
Von Ihren neuen Kompositionen, die ich freilich am liebsten sämmtlich möchte kennen lernen, ließe sich hier am leichtesten eine Sinfonie aufführen, sobald unsre Winterconcerte wieder beginnen, wenn Sie nämlich die Güte hätten uns Partitur und Stimmen zu borgen. Der Ertrag unserer Concerte, der zur Erhaltung der Wittwen verstorbener Orchestermitglieder verwendet wird, ist nämlich in der Regel so unzureichend, daß wir auch nicht das Mindeste zur Anschaffung neuer Werke verwenden können.
Ich habe mich recht gefreut einmal wieder etwas von Ihnen und Ihrer künstlerischen Thätigkeit zu hören und bitte damit von Zeit zu Zeit fortzufahren. In wahrer Freundschaft stets

der Ihrige Louis Spohr.



Dieser Brief ist die Antwort auf Schmitt an Spohr, 12.07.1849. Schmitt beantwortete diesen Brief am 12.08.1849.

[1] Vgl. Louis Spohr’s Selbstbiographie, Bd. 2, Kassel und Göttingen 1861, S. 330.

[2] Vgl. ebd., S. 330f.

[3] Vgl. Spohr an Eduard von Simson, 09.09.1849.

[4] Hier gestrichen: „als“.

[5] Hier ein Wort gestrichen („ich“?).

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (22.02.2018).