Autograf: Nationalarchiv der Richard-Wagner-Stiftung Bayreuth (D-BHna), Sign. IV A 25-4, Nr. 1
Druck 1: Horst Heussner, Die Symphonien Ludwig Spohrs, Phil. Diss. Marburg 1956, Anhang, S. 50f.
Druck 2: ders., „Ludwig Spohr schreibt an Richard Wagner. Unbekannte Briefe“, in: Neue Zeitschrift für Musik 119 (1958), S. 586f., hier S. 587

Herrn Kapellmeister
Richard Wagner
Adresse: Herrn Alexander Müller
Musiklehrer
in
Zürich.
 
frei.
 
 
Cassel den 29sten Juli
1849.
 
Geehrter Herr u Freund,
 
Gestern Abend bin ich von Carlsbad, wo ich die Kur gebrauchte, und einer kl. Vergnügungsreise zurückgekehrt. Seit 8 Tagen kannte man hier meinen Aufenthalt nicht, es konnte daher Ihr lieber Brief mir nicht zugesandt werden und ist erst heute früh in meine Hände gekommen. Ich beeile mich daher, ihn sogleich zu beantworten.
Da mir Ihre hohe Begeisterung für deutsche Freiheit und Einheit bekannt war, so habe ich mich nicht, wie viele Andere, gewundert, daß Sie sich der Bewegung in Dresden für Durchführung der Reichsverfassung anschlossen, und dabey Ihre Verhältniße zum König unberücksichtigt ließen. Als sich dieser edlen Erhebung aber bald unreine Bestrebungen beymischten, da war ich erstaunt und betrübt, daß Sie sich nicht auch wie viele andere Ehrenmänner, davon lossagten, da Sie als einsichtsvoller Politiker doch nun leicht die Nutzlosigkeit und das traurige Ende davon vorhersehen mußten. Doch war es vieleicht, mitten in der Bewegung, nicht so leicht, sich davon loszumachen, und man muß es daher als ein Geschick betrachten, dem Sie und viele Gleichgesinnte nicht entgehen konnten! - Wie sehr mir Ihre jetzige Lage zu Herzen geht, brauche ich wohl nicht erst zu versichern. Wäre ich ein reicher Mann, hätte ich ein Vermögen erworben wie Liszt, oder ererbt wie Meierbeer, ich würde in der von Ihnen geünschten Weise Ihre nächste Zukunft sicher zu stellen suchen. So ist es mir bey unausgesetzter Thätigkeit und großer Sparsamkeit aber nur eben geglückt, so viel zu erwerben, daß ich meine Kinder versorgen, die Zukunft meiner zweiten, viel jüngeren Frau sicherstellen und ein heiliges Gelübde, meinem sterbenden Bruder1 abgelegt, erfüllen konnte, mich seiner Wittwe2 anzunehmen und seine verwaisten Kinder3 zu nützlichen Mitgliedern der Gesellschaft heranzubilden. Diese Aufgaben erschöpfen meine ganzen Kräfte. - Leider kenne ich nun auch niemand anderes, der auf Ihre Vorschläge würde eingehen wollen oder können. Aber bedarf ein Mann4 mit Ihren reichen Fähigkeiten der fremden Hülfe? Kann er nicht seine Zukunft selbst feststellen? Bey so vieler schriftstellerischen Gewandheit wie Sie besitzen, müßte dieß, meine ich, schon gelingen, wenn Sie über Musik, Politik oder was es sonst5 sey, schrieben! und Sie würden dann bald zu dem zurückkehren können, wozu Sie Ihr Genius vorzugsweis treibt! -
Doch, ein Mann von Ihrer Erfahrung bedarf des fremden Rathes nicht. Allso nur noch die herzlichsten Wünsche, daß es Ihnen bald gelingen möge, sich aus Ihrer jezigen Verlegenheit, in die Sie wohl nicht ganz ohne eigene Schuld gerathen sind, herauszureißen!
Gern wurde ich auf den übrigen Inhalt Ihres lieben Briefes noch eingehen, hätte ich nicht bey meiner Rückkehr eine solche Masse von Geschäfften angehäuft gefunden, daß ich kaum weiß wie ich mich durcharbeiten soll. Allso nur noch die Versicherung wahrer Hochachtung und Freundschaft mit der ich bin
 
Ihr ergebenster
Louis Spohr.

Autor(en): Spohr, Louis
Adressat(en): Wagner, Richard
Erwähnte Personen: Müller, Alexander
Spohr, Caroline (Ehefrau von Ferdinand Spohr)
Spohr, Emma
Spohr, Ferdinand
Spohr, Ludwig
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte: Dresden
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1849072913

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf einen derzeit verschollenen Brief von Wagner an Spohr. Der nächste überlieferte Brief dieser Korrespondenz ist Wagner an Spohr, 17.09.1853.

[1] Ferdinand Spohr.
 
[2] Caroline Spohr.
 
[3] Ludwig und Emma Spohr.
 
[4] Hier gestrichen: „von“.
 
[5] „sonst“ über der Zeile eingefügt.
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (10.10.2017).