Autograf: Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg Frankfurt am Main (D-F), Sign. Mus. Autogr. A. Schmitt A 154
Druck: Heinrich Henkel, Leben und Wirken von Dr. Aloys Schmitt, Frankfurt am Main 1873, S. 71 (teilweise)

Frankfurt den 12ten July 1849.

Hochverehrter Freund!

Und wenn ich auch ein Motiv rein aus der Luft greifen sollte, so ist u. war mir‘s längst schon ein Bedürfniß: ein Lebenszeichen von mir zu geben u. mich wieder mit Ihnen zu unterhalten.
So wie die Kunst1 wohl im Allgemeinen gesunken, so sind es jetzt mehr oder minder die Künstler auch, und man findet heut zu Tage gar zu selten mehr Jemand, von dem man sich durch seinen Geist oder sonst bedeutende Eigenschaften angezogen fühlt.
Ich, für meinen Theil kann mich nur an dem Alten Ehrenwerthen halten, so wie auch nur an meinen alten erprobten Freunden. Unter die für mich hochverehrtesten, gehören Sie vor allem.
Nur schade, daß man gerade mit Männer, wie Sie, hochverehrtester Freund, so ganz außer Rapport kömmt2, u. nicht mehr hört: was diese zutage gefördert haben; so wie dadurch unser Einer auch die Gelegenheit abgeschnitten ist, mit zu theilen: wie man seine Zeit verwendete, u. was an das Tageslicht gekommen ist. Was mich nun betrifft, so darf ich mit Wahrheit sagen, daß ich in den letzten paar Jahren mehr gespielt u. geschrieben habe, wie je.
Die Holländer, wo ich vergangenen Winter mich längere Zeit aufgehalten, behaupteten: daß ich unendlich fortgeschritten u. gegen früher nicht mehr zu erkennen sei. Dieß Urtheil beglückte mich wahrhaft, obgleich ich für allen Beifall wie taub geworden bin, u es nie mehr höre, wenn Z.B. geklatscht wird. Der arme Künstler, spricht am Ende – glaube ich – bei Allem, die es lange treiben, doch lauter, als aller laute Beifall. Und sonderbar! Seit dem es mir ganz einerlei ist: zu gefallen – welches ich oft laut erklärte – gerade seitdem wurde mir der meiste Beifall. So geht‘s aber im Leben: so lange man noch Etwas angelt u. es wünscht, bekömmt man‘s nicht; und wenn man es denn erhält, so hat es keinen Werth mehr für Einen. Wenigstens so mir.
Mein neuestes Clavierconcert (wohl das beste, was ich je schrieb) so wie etwa 60 Clavierpiecen Solo, in ganz eigenthümlicher Form, möchte ich Ihnen wohl einmal vorspielen, so wie mich‘s sehr interessirte, was Sie zu meinem neuen Pastoral-Oratorium „Ruth“ sagten. Es war die glücklichste Zeit meines Lebens, wo ich es (vorigen Sommer) schrieb.3 So fromm, so bis in die innerste Seele glückselig, fühlte ich mich nie. Auch einige 80 Piecen für 2 Violinen hab‘ ich in der Kürze geschrieben. Meine zwei jüngste Söhne (der Eine4 ii der andere5 9 Jahre) lernen gerade Violin. Die Violinspieler hier behaupten: das es nicht das schlechteste sei, was in diesem Bereiche existire.
Während alle Welt politisirte, zog ich mich – als ich einigemal den Sitzungen in der Paulskirche beiwohnte - wohl ahnend das Ende – zurück, u. griff wieder nach dem Fiedelbogen. Was kann unser Einer in der Politick thun u halten?
Rothe Republik will ich nicht, Besonnenheit wollen Jene nicht, u. da ich weder mit dem einen wie mit dem anderen Theile sympathisire, so habe ich mich ganz in meine Töne zurückgezogen, mehr wie je, u. ich dächte, es sei das Sprichwort: „Schuster bleib‘ bei deinen Leisten“ ganz gut.
Wie6 Ihr Theater wohl jetzt beschaffen sein mag? wohl auch nicht besonders? wie Z.B. hier, wo es tief unter Null steht.
Für mein Osterfest, oder für mein „Ruth“ oder für eine Symphonie, ist wohl weig dort zu hoffen? Wenn etwas zu hoffen sein sollte, so werden Sie wohl meiner gedenken. In Leipzig hat der Partheigeist – wie ich noch vorigen Winter mich persönlich überzeugte – mehr wie die Kunst zu genommen, u. für alle, die ein vernünftiges Streben haben, ist Leipzig eine Festung, die zu und unserem Gelichters(???) verschlossen ist u. verschlossen bleibt. In Holland dagegen, ist es ganz gut, und es herrscht dort ein schönes Bestreben. Auch fand ich Z.B. in Utrecht ein recht gutes Orchester.7 Ihre Werke werden dort vor wie nach geliebt u. oft u mit Liebe u. gut gegeben. In Leipzig machte ich die Bekanntschaft eines jungen 22-bis 24 jährigen Tenoristen, der mir seines gebildeten edlen Wesens sowohl als wegen seinem ehrenvollen Streben – nebst guter Stimme – Interesse einflößte. Sein Name ist Wege. Merken Sie sich diesen Namen, falls Sie eines Tenoristen bedürftig sein oder werden sollten. Ohne von ihm darum gegeben worden zu sein, empfehle ich Ihnen disen jungen Man aufs beste. Sie werden in allen u. jeden Hinsichten gut mit ihm fahren, wenn Sie ihn zu sich rufen sollten. Seine Ansprüche sind zu dem wohl klein u. gering. H Wege ist jetzt noch, - wie erfuhr – in Leipzig.
Möchten es doch von nun an wieder bessere Zeiten für unsere Kunst werden, als sie im letzten Jahre waren! Aber – an Ruhe – glaub ich – ist vorläufig nicht nur nicht zu denken, sondern einer Zeit entgegen zu sehen: die in anderer Weise – vielleicht auch nur mit den Federn – ärger wird, als es bisher war. Mit der Bekämpfung von Ungarn zweifle ich nicht, das eine ganz neue Epoche beginnen wird, für uns nämlich.
Ihrer hochverehrten Frau Gemahlin bitte ich mich vielmals empfehlen zu wollen. Darf ich hoffen, bald etwas von Ihnen zu erfahren? Sehr – sehr sollt mich dies freuen. Es ist gänzlich ausgehungert Ihr Sie
hochverehrender

Freund Aloys Schmitt.

Autor(en): Schmitt, Aloys
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Schmitt, Adolf
Schmitt, Gustav
Wege (Tenor)
Erwähnte Kompositionen: Schmitt, Aloys : Duos, Vl 1 2
Schmitt, Aloys : Konzerte, Kl Orch, fis-moll
Schmitt, Aloys : Ruth
Erwähnte Orte: Frankfurt am Main
Leipzig
Utrecht
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1849071245

Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Schmitt an Spohr, 05.02.1846. Spohr beantwortete diesen Brief am 30.07.1849.

[1] „Kunst“ über der Zeile eingefügt.

[2] „kömmt“ über der Zeile eingefügt.

[3] Vgl. Heinrich Henkel, Leben und Wirken von Dr. Aloys Schmitt, Frankfurt am Main 1873, S. 63.

[4] Vermutlich Adolf Schmitt.

[5] Gustav Schmitt.

[6] Hier gestrichen: „wohl“.

[7] Vgl. F.C. Kist, „Signale aus Utrecht“, in: Signale für die musikalische Welt 7 (1849), S. 131f., hier S. 132.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (22.02.2018).