Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287[Firnhaber:22

Lieber Herr Generalissimus!

Wenn die politische Thätigkeit meinen Freund Meyer nicht für Alles Andere als für die Politik unempfindlich gemacht hat, so haben Sie bereits im vorigen Monat meinen nachträglichen Glückwunsch zu Ihrem Geburtstage empfangen. Ich kann mir bei der Ungewißheit u trotzdem nicht das Vergnügen versagen, noch nachträglich durch ein besonderes Schreiben Ihnen meinen Glückwunsch darzubringen. Sie kennen freilich meine Wünsche für die Fortdauer Ihrer Gesundheit u Lebenskraft zum eigenen u des Vaterlandes Ruhme, aber das eigene Herz will Befriedigung haben, darum schreibe ich ausdrücklich. Bin ich doch noch neulich so lebhaft wieder an die schöne Caßler Zeit erinnert, als die hiesige Capelle Ihre Weihe der Töne zum ersten Male zur Aufführung brachte u damit einen solchen Enthusiasmus erregte, daß die Symphonie sehr bald wiederholt werden mußte. Ich hatte zum bessern Verständniß in der hies. Zeitung einige geschichtl. Notizen darüber gegeben, auch das zum Grunde liegende Gedicht nebst Bemerkungen über den Verfasser mitgetheilt:1 Sie können nicht denken, welche einen Beifallssturm die wunderherrliche Schöpfung hervorgerufen. In solchen Momenten wird mir das Herz immer weit, und ich denke voll tiefen Dankes an Sie u Ihre Güte, die mir das Verständniß gerade Ihrer Tonschöpfungen aufgeschlossen. Hätten wir nur solche Generalissimi mehr in Deutschland u an den geeigneten Stellen, es könnte wahrhaftig nicht so trostlos aussehen.
Nun was sagen Sie denn zu unsern neuen Zuständen? Wo sind alle die Hofnungen vom vorigen Jahre? Soll die Deutsche Nation wirklich ein ähnliches Loos haben, wie die Polnische? Ist sie wirklich nicht fähig, etwas anders als einen momentanen Rausch der Freiheit zu tragen? Das also ist der Dank für das Vertrauen, das die Edelsten der Nation in die Fürsten gesetzt haben! Nun! mich hat dieser erste Ausdruck der Reaction wahrlich nicht überrascht, wer eine solche Schule durchgemacht hat, wie ich, der weiß was er von alle den Versprechungen zu halten hat. Es ist ein sonderbar Geschick: den bürgerfreundlichsten Regenten jagen sie über den Rhein u die bürgerfeindlichsten halten sie mit Gut und Blut. Die Nation hat in ihren Sprachen gar zu viele Pingmaier(???)!!
Aber wir wollen nicht verzagen: noch halten Männer wie Bethmann u Gagern zur guten Sache u auch die frühere Linke weiß sich auf der abschüssigen Bahn, die sie eingeschlagen, aufzuhalten. Sie bestrebt sich, selbst die badische Erfahrung wieder in das rechte Gleis zu bringen u nicht ohne Hofnung auf Gelingen. Was helfen denn auch sonst alle Eide auf die Reichsverfassung, die man geschworen u schwört?
Jedoch was sollen diese politischen Ergießungen? Jeder Tag bringt ja Neues; wer weiß ob nicht heute Abend wieder alle Hofnungen, die der Morgen brachte, zernichtet sind. Wenn man Frankfurt so nahe wohnt,2 und täglich sechsmal von dort Neuigkeiten empfängt, da betheiligt man sich auch bei allen Schwankungen. Ich lege mich z.B. nie zur Ruhe, ohne erst den letzten Bahnzug abgewartet zu haben, mag sich meine Ruhe dabei auch etwas schlecht stehen.
Die K. Hess. Zeitung, welche ich halte (beiläufig! Sie sehen ja Oetker häufig! Weiß er wohl, daß seine Zeitung von Thurn u Taxis so heraufgesetzt ist, daß ich z.B. hier dafür zwei Gulden halbjährig mehr zahlen muß als für die Wochenzeitung, die in Bremen u in doppeltem Umfange erscheint? Es könnte nicht schaden, wenn er darüber sich beklagte!), bringt mir oft aus Ihrer Residenz Mittheilungen. Auch das Opernrepertoire durchmustere ich jedesmal. Wir haben hier auf dem Repertoire nur zwei Ihrer Opern, Faust u Jessonda. Beide werden sehr brav gegeben. Unsre Kern ist als Jessonda ganz vortrefflich, auch Stepan als Faust leidlich. Indeß bei dem Zustande unserer Theaterkasse werden uns beide verlassen: namentlich die erste würde eine wahre Zierde Ihres Theaters werden. Es gehört mit zu unsern Märzerrungenschaften, daß sich unser Theater wahrscheinlich auflösen wird.
Aber genug des Geschwätzes! Meiner Familie geht es gottlob! recht gut, ich wünsche sehr, auch der Ihrigen, der wir uns angelegentlichst empfehlen. Auch Ihrem H. Schwiegersohn bitte ich meine hohe Verehrung auszudrücken. Hoffentlich führen Sie die Ferien wieder in den Süden u gewähren Ihnen die Gelegenheit, uns wie im vorigen Jahre wieder einen glücklichen Tag zu machen. In dieser Hofnung sage ich Ihnen unter Grüßen von meiner Frau ein herzliches Lebewohl.

Ihr
treuergebener
CGFirnhaber

Wiesbad. am Himmelfahrtstage

Ich bitte um baldige Erledigung der Einlage.

Autor(en): Firnhaber, Carl Georg
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Bethmann-Hollweg, Moritz August von
Gagern, Heinrich von
Kern, Christine
Meyer
Oetker, Friedrich
Stepan, Carl
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Faust
Spohr, Louis : Jessonda
Spohr, Louis : Die Weihe der Töne
Erwähnte Orte: Wiesbaden
Erwähnte Institutionen: Hofkapelle <Wiesbaden>
Hoftheater <Wiesbaden>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1849051748

Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Firnhaber an Spohr, 15.09.1848. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Firnhaber, 03.04.1850.

[1] Noch nicht ermittelt.

[2] Hier gestrichen: „da“(?).

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (04.12.2020).