Autograf: Spohr Museum Kassel (D-Ksp), Sign. Sp. ep. 1.3 <Zahn 18490417>

Via Boston / Liverpool
Dr. Louis Spohr
Hessen Cassel
Germany.
Post paid


New York. Vom 17 April. 49

Mein theurer Vater.

Vor etwa 12 Tagen ist durch Herrn Timm eine Sendung an Dich abgegangen, die ich mit einigen Zeilen zu begleiten versprochen hatte. Zur Zeit des Abgangs war es mir aber wegen Unpäßlichkeit unmöglich zu schreiben, und ich hole daher dieses Versäumniß mit nächster Gelegenheit hiermit nach. Da ich weiß in wieweit der Brief1 des Herrn Timm Dich mit seinen Wünschen bekannt macht, so will ich nur in Kürze hinzufügen was er aus Bescheidenheit zu sagen unterließ. Ich erwähnte des Herrn Timm schon mehrere male als eines ausgezeichneten Musikers und Clavierspielers und als enthusiaßtischen Verehrer Deiner herrlichen Werke. Bei seinen Schülern so wie bei allen öffentlichen Aufführungen führte er die Spohrsche Musik ein und hat auf diese Weise, als der anerkannteste und geachtetste Musiker, unermüdlich und mit vielem Erfolg zur Verendelung des Geschmacks beigetragen. Seine ausgezeichnete Schülerin, Miss Anderson, hat keinen sehnlicheren Wunsch als einige, ihre Arbeit anerkennenden Zeilen von Deiner Hand zu empfangen; sie ist schon jetzt ganz glücklich in der Hoffnung daß ihr solche werden könnten. Schubert hat hier die Symphonie im Arrangement von Miss Adr.2 Eisfeld, Timm und Scharfenb. Ausführen hören, und, ganz entzückt über den Effekt derselben, sich dahin geäußert, daß er sie wohl verlegen möchte. Dies wäre der lebhafte Wunsch Timms und seiner Schülerin. In wiefern Du durch eine Bevorwortung bei Schubert oder einem anderen Verleger dazu beitragen kannst oder willst weiß ich nicht zu beurtheilen. Ich bin recht begierig was Du zu der Bearbeitung sagst; mir scheint sie die wundervollen Schöhnheiten der Composition glänzend zu Tage zu fördern. Die gelungene Ausführung auf 2 gleichen, herrlichen Flügeln gewährte einen reineren Genuß als die Orchesteraufführung, da selbst die hier bestmögliche manches zu wünschen übrig läßt. –
Ich war bis hierher gekommen und wollte eben mein gewohntes Klagelied über Euer seltenes Schreiben anstimmen, als ich zu meiner unbeschreiblichen Freude Deinen Brief vom 4ten März erhielt, den nicht Herr Pott aber einer seiner Freunde mir überbrachte. Durch diesen Herrn mehrere Stunden aufgehalten bleibt mir nur noch eine kurze Frist vor Abgang der Post. Vor allem muß ich Dir sagen wie glücklich mich die freudige Nachricht von Eurem Wohlergehen macht, nachdem ich 8 lange Monate nichts von Euch hörte. Drei meiner Briefe sind unbeantwortet. Der letzte an Ida vom 19 t. Febru. ging mit dem Dampfboot nach Bremen und muß spätestens Mitte März bei Euch angelangt sein. Ich bin in der Erwartung getäuscht mit dem Dampfboot Hermann Antwort zu erhalten. Eine Stelle deines Briefes hat mir der Verwunderung und Freude erpresst. Du sagst: bei Wolffs ist alles wohl, das kleine Mädchen gedeiht sehr gut. Sollte es denn möglich sein, daß sich Ida's Familie wieder um ein liebes, kleines Wesen vermehrt hätte und daß ich durch meine geliebte Schwester noch nicht davon in Kenntniß gesetzt wurde? Gebe doch der Himmel daß sie wohl ist und mir selbst bald und ausführlich Nachricht giebt. Mit unserer Gesundheit und dem Geschäft geht es Gott sei Dank fortwährend gut. Mit Dr. Meier und einigen anderen Freunden leben wir im angenehmsten geselligen Verkehr. Unter den Musikern die unser Haus besuchen ist Eisfeld und Coenen, ein Holländer; letzterer ein ganz vortrefflicher Geiger der Dich als er noch Knabe und Schüler von Molique war bei diesem vor mehreren Jahren Quartett spielen hörte. Hill lebt jetzt in Cincinnati. Nachdem er von seiner Frau, die sich dem Trunk ergeben hat, geschieden war, zog er fort war aber vorher durch Timm als Dirigent schon vollständig verdrängt.
Im Bezug auf Herrn Potts Absicht nach hier zu kommen, muß ich sagen daß im Augenblick eine solche Fluht von Künstlern, u[nd] Concertgebenden hier versammelt ist, daß selbst die beliebtesten schlechte Geschäfte machen; unter diesen Herz, Coenen3, die Hohenstocks4 u.s.w. Alle Orchestergesellschaften, als Gungel, die Heyermarker und die vortreffliche Germania haben sich auflösen müssen und einzeln ihr Fortkommen finden. Das Concert welches der Frauenverein zum Besten seiner Casse gab war das einzige gutbesuchte des ganzen Winters und brachte eine reine Einnahme von 460 $. Sollte Herr P[ott] im Herbst doch hierher kommen, so würde ihm nichts so nützlich sein als einige empfehlende Zeilen von dir an Timm.
Herr Pott begleitete Deinen Brief mit einer herzlichen Einladung an mich und Thalchen uns nach der Seereise einige Tage bei ihm zu erholen. Jedenfalls wollen wir ihm ein Rendevouz in Bremen geben um eine so liebenswürdige und interessante Bekanntschaft zu erneuern. Ich lebe jetzt in beständiger Furcht daß ein allgemeiner, europäischer Krieg unsere Reiseplane durchkreuzen könne. Die letzten Berichte die bis zum 26st. März reichen, stellen einen solchen als unvermeidlich in baldige Aussicht. Wie unglücklich würde es mich machen nicht allein die Hoffnung Euch alle wiederzusehen, hinausgeschoben zu sehen, sondern auch in beständiger Sorge um alle meine Lieben sein zu müssen. Ach wärt Ihr doch alle hier! Es wird früher oder später eine schreckliche Zeit hereinbrechen. Von der frankfurter ohnmächtigen Versammlung erwartet man hier nichts mehr. Die Völker werden nur durch neue, blutigere Kämpfe das endliche, gesegnete Ziel einer republikanischen Verfassung erringen.
Ich schließe nun, mein theurer Vater, mit den heißesten Wünschen für Euer Wohlergehen und in der Hoffnung daß mir das unaussprechliche Glück zu Teil wird Euch alle bald wiederzusehen. Herzliche Grüße von den Meinigen an Dich, Marianne und Line so wie an Ida und ihre Familie.

Deine Dich innig liebende Tochter Emilie.



Dieser Brief ist die Antwort auf Spohr an Zahn, 04.03.1849. Der nächste erschlossene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Zahn, ab 18.06.1851. Der Postweg dieses Briefs überschnitt sich mit Spohr an Zahn, 26.03.1849, der einen derzeit verschollenen Brief von Zahn an Spohr beantwortet.

[1] Henry Christian Timm an Spohr, 16.04.1849.

[2] Bearbeitung von Spohrs Irdisches und Göttliches im Menschenleben (vgl. ebd.).

[3] Zu den Konzerten von Henri Herz und Frans Coenen in New York vgl. Vera Brodsky Lawrence, Strong on Music. The New York Music Scene in the Days of George Templeton Strong Bd. 2 Reverberations 1850-1856, Chicago und London 1995, S. 543.

[4] Zu den Konzerten von Adele und Carl Hohnstock vgl. ebd., S. 541 und 603.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Neele Nolda (29.04.2020).