Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Sr Wohlgeboren
Herrn Kapellmeister
Dr Louis Spohr.
Hessen. Cassel.


New York April 16th 1849

Hochgeehrter Herr Doctor!

Ich nehme mir die Freiheit Ihnen hiermit ein Arrangement Ihrer Doppel Symphonie1 für zwey Piano à huit mains zu Ihrer geneigten Ansicht und Prüfung zu überreichen. Da es der erste Versuch einer meiner Schülerinnen2 ist, die nach fleißigem Studium im Generalbaß und im Partiturlesen dahin gelangt ist, ein solches Werk unternehmen zu können und dasselbe mit Liebe und Eifer in der verhältnißmäßig kurzen Zeit von ungefähr 7 Wochen vollendete, so darf ich wohl von Ihrer Seite hoffen daß Sie die Arbeit meiner Schülerin mit gütiger Nachsicht aufnehmen werden. – Was die Wahl dieser Symphonie anbetrifft, so schien mir keine von Ihren reizenden Compositionen beßer für ein solches Arrangement geeignet als gerade diese, und glaube ich hier hinzufügen zu dürfen, daß mir wohl Alle Ihre herrlichen Schöpfungen entweder im Original oder in deren verschiedenen Arrangements bekannt sind. Von Ihren Symphonien haben wir in unserer Philharmonischen Gesellschaft, (deren Präsident zu seyn ich seit zwey Jahren die Ehre habe,) drey gespielt; nämlich: die „Doppel-Symphonie“ 2 Mal; „Die Weihe der Töne“ 3 Mal und Ihre erste in Es Dur ein Mal, die letztgenannte unter meiner eigenen Leitung;3 auch haben wir die Ouverture zu Jessonda zwey mal4 aufgeführt. – In Bezug auf die Ausführung dieser Compositionen würde es für mich unpassend seyn darüber mehr zu sagen, als mich lediglich auf das hoffentlich nachsichtige Urtheil Ihrer Frau Tochter5 hier zu beziehen, in deren Gesellschaft ich manche angenehmen musikalischen Stunden zugebracht habe. Ihr schönes Quintett in C moll mit Blas6 oder Streichinstrumenten7 habe ich in New York wiederholt öffentlich gespielt8, und ist es ein Verdienst, dem leider nur zu allgemeinen Geschmack am Trivialen sich auf das Kräftigste zu wiedersetzen, und dem Publikum das Beßere, das Edelste in der Kunst so zu sagen mit Gewalt aufzudringen, – (ein Bestreben, welches, wie ich9 mir schmeichle, nicht ohne guten Erfolg geblieben ist –), so ist dies das Einzige, was ich mir anmaßen zu dürfen glaube. – Ihre Trios spielen wir sehr oft, waren aber neulich genöthigt, die Violin und Violoncello-Stimmen auf einem zweiten Clavier zu spielen, aus Mangel an einem Violoncellisten, der die sehr schwere Partie uns zu Danke spiele, – eine Licenz die Sie uns hoffentlich verzeihen werden.
Sollte der hiermit gesandte Versuch meiner Schülerin, Ihrem großen Genie zu huldigen, einige Anerkennung Ihrerseits finden, und Sie Sich veranlaßt fühlen, dieselbe durch einige Zeilen in ihrem Streben nach Vervollkommnung aufzumuntern und zu ermuthigen, so würde dies für dieselbe eine große Genugthuung seyn, und ist sie alsdann gesonnen die „Weihe der Töne“ auf ähnliche Weise zu machen.
Um Ihnen auch einigen Begriff von der technischen Fertigkeit meiner Schülerin zu geben, so erlaube ich mir noch hier hinzuzufügen, daß dieselbe Ihre Claviersonate in As sehr schön vorträgt, und zwar auswendig, was gewiß viel sagen will.
Im Fall sich ein Verlag für das Arrangement der Doppel-Symphonie finden sollte, und Sie Ihre Genehmigung dazu ertheilen, so bieten wir dieselbe ohne irgend eine Remuneration an. –
Herr Scharfenberg, mit dem ich genau befreundet bin, und der die Doppelsymphonie oft mit uns gespielt hat, sagte mir, er glaube daß einer oder der andere Verleger in Leipzig gern jenes Arrangement verlegen werde. Vielleicht C.F. Peters? –
Indem ich mir schließlich die Versicherung erlaube daß unter Ihren zahlreichen Verehrern keiner sich befindet welcher mit größerer Hochachtung Ihrer gedenkt
verbleibe ich ganz ergebenst

Henry C. Timm
at Mr. N. Bunel's
Corner of Houston and Crosby Streets.
New York.

Dr. L. Spohr.



Dieser Brief lag vermutlich dem Brief Emilie Zahn an Spohr, 17.04.1849 bei.

[1] Die siebte Sinfonie op. 121 für zwei Orchester Irdisches und Göttliches im Menschenleben.

[2] Orleana Andersen (Identifikation nach Emilie Zahn an Spohr, 17.04.1849).

[3] Über die erhaltenen Programmzettel lassen sich folgende Aufführungen ermitteln: Sinfonie Nr. 1 Es-Dur, op. 20 am 29.04.1848 unter der Leitung von Henry Christian Timm (Philharmonic Society. 1847-1848 Last Concert – Sixth Season. Apollo Rooms – Saturday Evening. April 29th, 1848, New York 1848; Sinfonie Nr. 2 d-Moll, op. 49 am 16.03.1843 unter der Leitung von George Loder, (Philharmonic Society. Second Season. Third Concert – Apollo Rooms - 16th March, 1844, New York 1844; Sinfonie Nr. 4 F-Dur, op. 86 Die Weihe der Töne am 21.11.1846 unter der Leitung von George Loder (Philharmonic Society. 1846-1847 First Concert – Fifth Season. Apollo Rooms – Saturday Even'g. Nov. 21, 1846, New York 1846; dass. am 27.11.1847 unter der Leitung von George Loder (Philharmonic Society. 1847-1848 First Concert – Sixth Season. Apollo Rooms – Saturday Evening. November 27th, 1847, New York 1847); Sinfonie Nr. 7 C-Dur, op. 121 Irdisches und Göttliches im Menschenleben am 27.01.1849 unter der Leitung von George Loder (Philharmonic Society. 1848-1849 Second Concert – Seventh Season. Assembly Rooms, – Chinese Buildings, Saturday Evening. January 27th, 1849, New York 1849.

[4] Die beiden Aufführungen der Jessonda-Ouvertüre durch die New Yorker Philharmoniker bis zum Datum dieses Briefes fanden statt am 11.01.1844 unter der Leitung von Ureli Corelli Hill (Philharmonic Society. Third Season – Second Concert. Apollo Rooms – Saturday Evening, January 11th, 1845, New York 1845) und am 06.03.1847 unter der Leitung von Alfred Boucher (Philharmonic Society. Third Concert – Fifth Season. Apollo Rooms – Saturday Evening, March 6th, 1847, New York 1847).

[5] Spohrs älteste Tochter Emilie war mit ihrem Mann, dem Fabrikanten Johann Wilhelm Zahn, nach New York ausgewandert.

[6] Op. 52.

[7] Op. 53.

[8] Timm spielte das Werk auch in späteren Jahren noch in New York (vgl. Vera Brodsky Lawrence, Strong on Music. The New York Music Scene in the Days of George Templeton Strong Bd. 2 Reverberations 1850-1856, Chicago und London 1995, S. 200).

[9] Hier gestrichen: „glaube“.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Wolfram Boder (29.04.2020).