Autograf: Spohr Museum Kassel (D-Ksp), Sign. Sp. ep. 1.3 <Zahn 18481019>

Via Southampton.
Herrn Dr. Spohr.
Hessen Cassel.
Post paid Germany.


New York d 19 t. October. 48.

Mein theurer Vater!

Vor 14 Tagen kam zu unserer großen Freude, der alte Eubel1 bei uns an, der, als der Bote der lang ersehnten und beglückenden Nachrichten von unseren Lieben, jubelnd begrüßt wurde. Er war 7 Wochen auf der See und hat nur wenig von der Seekrankheit gelitten. Nach einigen Tagen der Ruhe ist er mit seinem Sohne nach Cincinnati gereist wo sich Verwandte von ihm schon vor Jahren angebaut haben. Es kann ihm nicht fehlen angemessene Beschäftigung zu finden, da deutsche Kunstgärtner hier im Lande sehr gesucht und gut bezahlt werden. – . Erst vor 2 Tagen erhielt ich den freundlichen Brief Mariannes durch Herrn Delorme, für den ich hiermit herzlich danke. Herr D. kam mit demselben Schiff wie Eubel, hat demnach die übernommene Besorgung des Briefes arg vernachlässigt. – . Daß Du, geliebter Vater, mit so warmen Antheil den großen und glücklichen Umwälzungen in unserem Vaterlande folgst, habe ich vorausgesetzt. Auch unser regstes Interesse ist, durch die unerwartet rasch ihrem Ziel zueilende Bewegung in Anspruch genommen. Wir haben seit den letzten Nachrichten (bis zum 25 Sept.) [diese brachten die abermaligen Schilderhebung der Republikaner unter Struve und Heinzen und das, bis jetzt Gottlob, noch unverbürgte Gerücht vom Tode dieser treuen Führer.]2 mit allen unseren Landsleuten in der schönen Hoffnung daß schon in Jahresfrist unser Vaterland eine einige und starke Republik sein wird. Wir zittern aber zugleich, wenn wir bedenken welch blutige Kämpfe das arme Volk noch gegen die letzten, verzweifelten Anstrengungen der Reaction zu bestehen haben wird. Hätten die Männer des Vorparlamentes, die das Geschik Deutschlands für eine zeitlang in den Händen hielten, ihre Aufgaben besser verstanden und nicht durch Halbheit und Feigheit den Interessen des Volkes entgegengewirkt; indem sie die Sonderinteressen der Fürsten berücksichtigten, so hätten wohl manches Opfer erspart und unser Vaterland des glücklichsten Zieles ohne Schwertstreich theilhaftig werden können. Vor zwei Wochen kam Hecker in Begleitung eines Freundes und seines Schwagers Tiedeman mit dem Dampfboot Herrman hier an. Schon 8 Tage vor seinem Eintreffen wurde durch die Zeitungen zu einer öffentlichen Versammlung aufgefordert in der man sich über die Empfangsfeierlichkeiten bereden wollte. Gegen Ende dieser Berathung, nachdem schon eine Comité von 24 Männern erwählt war, alle nöthigen Anordnungen zu übernehmen verlangte ein verrufenes Individuum, ein deutscher Mäkler der schon früher wegen Betrugs im Gefängniß saß, in diese Comité aufgenommen zu werden und erlaubte sich zugleich beleidigende Worte gegen die, durch die Wahl der Versammlung mit den besagten Anordnungen beauftragten. Man wies ihn mit seinem Anliegen einstimmig zurück und hierdurch aufs Äuserste gereizt, stieß er fürchterliche Drohungen aus daß er sich blutig rächen wolle. Als nun der „Hermann vor 14 Tagen gegen Abend signalisiert wurde und die Comité der 24 sich an den Landungsplatz begab, um Hecker in Empfang zu nehmen, wurden sie dort unversehens von einem Rudel gedungenden Gesindels überfallen und dergestalt geprügelt und mit Messerstichen verwundet, daß unsere mehrere für todt auf dem Platze blieben, als schnell herzueilende Hafenwächter und Polizei die Raufbolde vertrieben3. Wie schmerzlich diese widerliche Szene auf Heck. wirken mussten kannst Du Dir vorstellen. Ich glaube nicht daß dieser Eindruck ganz verwischt werden konnte, durch den enthusiastischen Jubelruf seiner Landsleute die sich mittlerweile zu 1000den in den Straßen versammelt hatten durch die er zu seiner Wohnung gelangte. Während Heckers kurzen Aufenthaltes hier, fehlte es nicht an Festessen, Paraden des deutschen Militärs, Fackelzügen und Ständchen der hiesigen Männerchöre, letztere besser gemeint als aufgeführt. In mehreren Volksversammlungen hat H. gesprochen und durch seinen Feuereifer für die gute Sache und seinen herrlichen Redeflüß seine Zuhörer hingerissen. Ich muß noch einmal auf die unschuldig Gemißhandelten zurückkommen um zu sagen daß zwar keiner an den Verwundungen starb, aber noch viele sehr krank darniederliegen. Gegen den Mäkler und seine Helfer ist eine Untersuchung eingeleitet. –. Mit Hecker zugleich traf auch Dr. Meier aus Bräunfels mit seiner liebenswürdigen Familie hier ein, die uns sogleich aufsuchten und von Eurem mehrmaligen Zusammentreffen erzählten. Wir haben uns innig an sie angeschlossen und versprechen uns in ihrer gemüthlichen, angenehmen Gesellschaft, einen recht genußreichen Winter. Sie brachten mit einiger unserer Freunde den gestrigen Abend bei uns zu, der unter musizieren und politisieren auf das angenehmste verstrich. Für den Winter haben wir eine wöchentliche, regelmäßige Zusammenkunft verabredet um Quartetten und Ensemble Sachen zu singen was namentlich für Thalchen ein neuer Antrieb und eine nützliche Übung sein wird.
In den letzten beiden Philharmonischen Concerten hatten wir wieder Gelegenheit Deine herrliche Doppelsymphonie4 zu bewundern, die dies mal unter Leitung des fähigen neuen Dirigenten der Gesellschaft, Herrn Timm, sehr sorgfältig eingeübt war. Hierdurch erinnere ich mich daß ich Dir noch gar nicht mittheilte daß der arme Hill, der Gründer dieser Gesellschaft, von hier fortzog und ganz verschollen ist. Von seiner Frau die er zärtlich liebte, mußte er sich vor 2 Jahren trennen da sie sich dem abscheulichen Trunk ergeben hatte. Dieses Unglück und die Zerrüttung seiner Vermögensverhältnisse durch eine unglückliche Speculation, (Er opferte nämlich alle seine Mittel um ein von ihm erfundenes, großes Instrument zu bauen, halb Orgel, halb Piano, welches aber nie zu Stande kam) haben ihn so gebeugt daß er nicht mehr hier leben mochte und aus wanderte, zunächst nach Boston, von da aber, man weiß nicht wohin. Drei Deiner Schüler sind hier gut untergebracht. Heukeroth hat eine einträgliche Stelle in Boston als Dirigent einer Singakademie. Bettenhaus versieht die frühere Stelle des Herrn Jander, als Musiklehrer in Flushing an einer Schule, die ihm 1200$ einträgt. Er fühlt sich sehr glücklich in seiner Stellung und ich habe ihm versprochen Dir dies mitzutheilen. In der Ferienzeit kommt er nach N. York und spielt Quartette bei mir. Schriever gibt hier Unterrricht. Ich habe ihn spielen hören, kenne ihn aber nicht persönlich. Er spielte im Concert von DeBeriot, aber, war es Befangenheit oder was sonst, mit merklich schlechter Intonation. Herr Jander hat sich durch den Verlust seiner Stelle genötigt gesehen mit seinen geringen Ersparnisse einen Laden anzulegen. Louis Jander wird also vor der Hand noch nicht daran denken können, sein schönes Talent in Europa weiter auszubilden. Nächsten Winter werden wie mit Concerten überfluthet werden. Sänger, Sängerinnen und Künstler jeden Ranges sind aus allen Theilen des bewegten Europas angemeldet. Von Hamburg wird die sämtliche Operngesellschaft erwartet. Gegenwärtig langweilt uns Herz mit seinen süßlichen Compositionen. Er hat eine große Niederlage seiner Pianes hier etabliert; ich glaube aber es war eine schlechte Speculation indem ganz vorzügliche Instrumente im Lande gebaut werden die wenigstens den Vorzug der Dauerhaftigkeit vor den eingeführten voraus haben. – . Schließlich muß ich Dir noch sagen, theurer Vater, wie unendlich ich mich auf meinen projektirten Aufenthalt in der lieben Heimath freue und wie glücklich es mich macht daß Du meinen Plan billigst. Wie werde ich dann, vereint mit meinen Lieben, in langentbehrten Genüssen schwelgen, wenn ich nach und nach alle die schönen Werke kennen lernen, die Du seit unserer Trennung geschaffen. An Ida habe ich vor einigen Wochen geschrieben. Ihren letzten lieben Brief werde ich mit dem nächsten nach Bremen gehenden Dampfboot beantworten. Mag doch der Himmel geben daß sie mit den Ihrigen gesund und vergnügt von ihrem Ausfluge zurückkehrten. Wir sind alle wohl und das Geschäfft geht, Gott sein Dank, fortwährend gut. Lebe wohl, mein geliebter Vater, der Himmel erhalte Euch alle froh und glücklich. Die herzlichsten grüße von mir und meiner Familie an Marianne, Line5 und deren Vater6, so wie an Ida und ihre Familie.

Deine Dich innig liebende Tochter Emilie.

Ich bitte Mariannen den einliegenden Brief Thalchens an ihre Großeltern gefälligst besorgen zu wollen. Sie wohnen in Eurer Nähe.



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Zahn, 04. und 05.08.1846. Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Zahn, 04.03.1849.

[1] Sicherlich ein Mitglied der Kasseler Gärtnerfamilie Eubel. Ein Wilhelm Eubel wird bis 1847 als Obergehilfe, ab 1850 als Hofgärtner geführt (vgl. Kurfürstlich Hessisches Hof- und Staats-Handbuch (1847), S. 48; (1850), S. XVI). Der Gärtner Friedrich Eubel verschwindet erst 1851 aus dem Casselschen Adress-Buch (vgl. 1848, S. 63; 1850, S. 64; 1851, S. 60).

[2] Ausdruck in eckigen Klammern am Seitenrand eingefügt.

[3] Vgl. hier und im Folgenden „Arrival of Frederick Hecker, the German Patriot – Row among the Germans – His Reception by the comittee of the Common Council &c.“, in: New York Herald 06.10.1848, nicht paginiert; „Riot in New York“, in: North-Carolian 14.10.1848, nicht paginiert.

[4] Irdisches und Göttliches im Menschenleben.

[5] Caroline Pfeiffer, die mit in Spohrs Haushalt lebende Schwester seiner Frau.

[6] Burchard Wilhelm Pfeiffer.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Neele Nolda (06.05.2020).