Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287[Firnhaber:17

Lieber Herr Capellmeister!

Ich komme heute ganz wider Erwarten zu dem freudigen Geschäfte, Ihnen zu schreiben. Der Geh. Hofr. Fritze, ein Freund von mir, bittet mich, der Fräul. Rummel, Tochter des hies. Hofkapellmeisters u bisherige Primadonna, einen Empfehlungsbrief an Sie mitzugeben. Ich habe nun zwar nicht vergessen, wie wenig Ihnen mit derartigen Briefen gedient zu werden pflegt, indessen nehme auch ich an dem Schicksale dieser Sängerin, die ihr hiesiges Engagement aufgibt, so großen Antheil, daß ich es schon wagen mag, für dieselbe bei Ihnen ein gut Wort einzulegen, um so mehr, da sie ein sehr anständiges, feingebildetes u durch u durch sittlich-ehrbares Mädchen ist, das des beßten Rufes immerfort genossen. Sie sehen, daß ich weiß, was in Ihren Augen neben der Kunstfertigkeit hoch zu halten pflegt. So bitte ich denn, daß Sie Frl. Rummel mit Ihrem Rathe unterstützen wollen.
Von den mancherlei unruhigen Auftritten, Cassel Zeuge gewesen, hat mir die Zeitung Manches mitgetheilt. Meine Prophezeihung, daß Sie in Norddeutschl. erst später alles das noch mitmachen würden, was wir hier schon gehabt, geht also in Erfüllung. Wir sind gewiß noch nicht über den Berg. Morgen wird ein Hauptkampfe(???) in Frankfurt geschlagen. Die Linke bietet Alles auf – die Demokratischen Vereine Süddeutschlands sind in voller Thätigkeit. Ich denke, morgen selbst Zeuge des heftigsten Kampfes zu seyn, wie ich denn recht häufig dahin gehe, um mein Nationalgefühl zu stärken.1 Wir stehen gewiß in der bedeutendsten Krisis. Bei der Frage, ob Fürst, ob Volk ist meine Antwort nicht zweifelhaft.
Leider! muß ich hier aufhören, denn mein Freund lauert. Nur noch die herzlichsten Grüße von meiner Frau u mir an Sie und Ihre liebe Frau. Möchte ein glückseliges Geschick uns bald einmal wieder zusammenführen!

Ihr alter Verehrer
Firnhaber

Wiesbaden d. 15ten VIIbr 48. Abends.

Autor(en): Firnhaber, Carl Georg
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Fritze, Wilhelm
Rummel, Franziska
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte:
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1848071548

Spohr



Der letzte erschlossene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Firnhaber, 27.07.1847. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Firnhaber an Spohr, 17.05.1849.

[1] Am 16.09.1848 stimmte die Nationalversammlung in der Paulskirche dem bereits am 04.09. geschlossenen Waffenstillstand von Malmö gegen Dänemark zu. Am Folgetag brach in Frankfurt ein Aufstand aus, der jedoch schnell niedergeschlagen wurde (vgl. Wolfram Siemann, Die deutsche Revolution von 1848/49, Frankfurt am Main 1985, S. 155f.)

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (04.12.2020).