Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

London
den 2ten Mai 1848.

Hochgeehrtester, Lieber Herr Kappellmeister!

Ihre neue Symphonie ist Gestern Abend endlich zur Aufführung gekommen und ich glaube Ihnen eine kleine Freude zu machen wenn ich Ihnen berichte daß die Ausführung eine gelunge, und die Aufnahme eine ganz vortrefflich zu nennen war.1 Doch was die Ausführung betrifft so war doch manches auszusetzen. Obgleich das Werk am Sonnabend tüchtig probirt wurde blieb manches zu wünschen übrig. Blagrove der gewöhnlich sicher ist hat gar nicht gut gespielt, d. h. mit einer unüberwindlichen Kälte, und Mangel an den geringsten Ausdruck daß das herrliche Scherzo nicht die Wirkung hatte die es wenn es gut gespielt wird, haben muß. Auch in diesem Satze waren die Blasinstrumente nichts weniger als schön zu nennen.2 Das Adagio ging ausgezeichnet gut, so wohl das Finale, und von Herrn Costa dem Director kann ich wohl sagen daß er sich die größte Mühe gab um die Ausführung gelungen zu machen. Von der Aufnahme kann ich Ihnen nur gutes sagen; am besten scheinen das Adagio und Finale zu gefallen aber das3 Ende jeden Satzes wurde mit grossem Applaus empfangen. Für meinen Theil, bitte ich mir Erlaubniß aus Ihnen aufs herzliche zu danken daß Sie die Kunst wieder mit einem so herrlichen Werke bereichert haben.
Von unserem gemeinschaftlichen Freunde den Malsburgs und Anna Schwertzell hören wir nichts erfreuliches über den Zustand Cassels. Was Sie und die Ihrigen in der letzten Zeit erlebt haben müssen kommt uns in dem ruhigen festen England als ganz entsetzlich vor; und dann das Benehmen Ihrer lieben Obrigkeit besonders nach dem 10ten April scheint, mir wenigstens, eine solche Verachtung zu verdienen daß die Ansicht für die Zukunft nur durch den Gedanken daß alles der Entscheidung des gemeinsten Volkes von nun an überlassen wird. ich kann Ihnen kaum beschreiben mit welcher Rührung ich die veränderten Umstände des lieben Herrn von Malsburgs vernommen habe4, und im allgemeinen wenn ich auch den Aufstand in Deutschland gewissermaasen hab billigen müssen, denn anders mussten die Politischen Verhältnisse werden, so hat es mir in die Seele leid gethan daß meinen besten Freunden überall, vieles zu Leide gescheen mußte. Doch will ich auch eine bessere Zeit wünschen, und hoffe daß nach dieser Verstörung alles wieder sickah an’s Neue gewöhnen wird so daß nur das gute einer solchen Revolution übrig bleibt, denn mit freien Rechte, (so wie wir sie hier geniessen, kann Deutschland das seligste und schönste der Ganzen Erde werden.
Hier ist alles ruhig, und an Zerstörung denken wir nicht. Nur sind wir ein wenig mit französischen Klavierspieler überlaufen. Gestern abend machte einer ein famoses Fiasco, ein Herr Prudent. Er spielte ein Concert von sich. Spiel und Composition waren graulich.5 Mir geht es persönlich sehr gut. ich Arbeite fleißig und habe manches beynah fertig. Besonders meine zweite Symphonie hoffe ich im Laufe des Jahres Ihnen übersenden zu können.
Die Nachricht vom Tode des jungen Stähle hat mich sehr gerührt. Wie schade daß so großes Talent so früh und unreif von6 der Welt scheiden mußte!!
Die meinigen tragen mir die schönsten Grüße für Sie und Ihre liebe Frau auf, diesen schließe ich mich aufs herzlichste an, und mit der Bitte daß Sie ein kleines Plätzchen in Ihrem guten Andenken für mich bewahren mögen,

Verbleibe ich Lieber Herr Kappellmeister
Ihr aufrichtig Verehrend Ergebener
Charles Edward Horsley.



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Horsley an Spohr, 12.09.1846. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Horsley an Spohr, 19.01.1849.

[1] Vgl. „Philharmonic Society“, in: Musical World 23 (1848), S. 294f.; „Philharmonic Concerts“, in: Athenaeum (1848), S. 467.

[2] Vgl. dagegen: „As points of special excellence, we may signalise the violin solo in the scherzo, cleverly executed by Mr. Blagrove, on a meagre-toned instrument enough; the flute points, which were executed with striking truth by M. Ribas“ (Musical World, S. 295).

[3] „das“ über einem gestrichenen Wort eingefügt.

[4] Wegen seiner Sympathie für die Märzrevolution wurde Otto von der Malsburg mit einer geringen Pension entlassen (vgl. Spohr an Edward Taylor, 03.04.1848).

[5] Im gleichen Konzert, in dem auch Spohrs 8. Sinfonie op. 137 aufgeführt wurde.

[6] „von“ über gestrichenem „aus“ eingefügt.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (22.07.2020).