Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. hist. litt. 15[195,32
Druck 1: Herfried Homburg, „Politische Äußerungen Louis Spohrs. Ein Beitrag zur Opposition Kasseler Künstler während der kurhessischen Verfassungskämpfe”, in: Zeitschrift des Vereins für Hessische Geschichte und Landeskunde 75/76 (1964/65), S. 545-568, hier S. 559f. (teilweise)
Druck 2: Wolfram Boder, Die Kasseler Opern Louis Spohrs. Musikdramaturgie im sozialen Kontext, Kassel 2007, Bd. 1, S. 62 (teilweise)

Professor Taylor
No 2 Duke Street
Adelphi
London
 
frei über
Ostende
 
 
Cassel den 3ten April
1848.
 
Geehrter Freund,
 
Auch mir ist es Bedürfniß, mich mit Ihnen über die großen Weltbegebenheiten zu unterhalten und ich danke Ihnen daher herzlichst für Ihre interressanten Mittheilungen. Ich theile Ihre Besorgniß, daß Frankreich sich sobald nicht beruhigen wird, obgleich der edle Lamartine an der Spitze der Regierung steht; doch einen Krieg mit Frankreich fürchte ich nicht. Es wird noch zu lange mit sich selbst zu thun haben. Und Deutschland ist auf dem Wege, sich zu einer höchst imposanten Macht zu organisiren. Aber Krieg mit Rußland wird's geben, denn die Polen ruhen nicht, bis sie alles in Feuer und Flamme gesetzt haben. Aber auch den Deutschen scheint der Zeitpunkt gekommen zu sein, wo das alte Unrecht an Polen gesühnt werden muß und sie werden gern kämpfen, wenn es gilt die Russen in ihre alten Grenzen zurückzudrängen. Der Krieg zwischen Dänemark und den deutschen Herzogthümern ist schon ausgebrochen. Da aus allen Nachbarländern deutsche Hülfe zuströmt, so wird man mit den Dänen bald fertig werden. Aber wahrscheinlich kommen ihnen die Russen zu Hülfe und da wir ohne Marine sind, so können sie uns an den Ostseeküsten großen Schaden zufügen. Man hofft aber allgemein, daß England eine Flotte in die Ostsee schicken wird, um Rußland's Einmischung zu verhüten. Deutschlands Geschick wird in diesen Tagen in Frankfurt entschieden! Über die Besorgnis, daß die republikanische Parthey die Oberhand bekommen würde, sind wir schon beruhigt. Nur in Süddeutschland denkt man daran; in Norddeutschland will man allenthalben die constitutionelle Monarchie, aber mit gesicherten freien Institutionen, wie wir sie jetzt gewonnen haben. Hier in Hessen besaßen wir seit 1830 bereits eine Verfassung, die wenig zu wünschen übrig ließ, aber bey dem Mangel an Preßfreiheit gelang es der Regierung demohngeachtet, unsere Freiheit immer mehr zu unterdrücken. Durch Bestechung und Einwirkung auf die Wahlen wurde die Ständeversammlung immer serviler und zuletzt ein Werkzeug der Regierung um alle verfassungsmäßige Freiheit zu vernichten. Die wenigen freisinnigen Männer, die es wagten, sich der Despotie der Regierung zu wiedersetzen, wurden in Prozesse verwickelt und auf alle Weise verfolgt. Und diese selben Männer bilden jezt unsere Regierung! Daraus können Sie sehen, welch einen Umschwung die Dinge hier genommen haben! Und doch ist es bey uns ohne alles Blutvergießen abgegangen, dank der Feigheit, die solche Despoten im Augenblick der Gefahr beherrscht! Aber wachsam wird man seyn müssen, denn die deutschen Fürsten haben alle nur gezwungen nachgegeben und würden gern bey erster Gelegenheit alles zurücknehmen. Aber man kennt sie nun und wird sich nicht wieder hinters Licht führen lassen!
Da hier bey uns völlige Ruhe herrscht, und im Fall, daß ein Krieg mit Rußland ausbrechen sollte, doch der Kriegsschauplatz sehr entfernt seyn wird, so scheint mir kein Grund vorhanden, warum Ihre Kinder ihre Reisepläne hieher aufgeben wollten. Auch müssen schon die nächsten Wochen Entscheidung bringen, ob die Wiedergeburt von Deutschlands Freiheit und Größe nun ohne weitere heftige Convulsionen vor sich gehen wird!
Unsere Freunde Malsburg's haben durch die neuesten Ereignisse leider allein verloren! H. v. Malsburg, der einzige von des Kurfürsten Umgebung, der ein Herz für die Sache des Volks hatte und dieß zeigte; mußte dafür büßen; er wurde mit einer geringen Pension entlassen und wird sich nun, da er nur wenig Vermögen besitzt, im Vergleich mit früher sehr einschränken müssen. Die schöne Wohnung haben sie bereits räumen müssen. Frau v. Malsburg hat aber dadurch an ihrer guten Laune nichts eingebüßt.
Herzliche Grüße an alle die lieben Ihrigen. Mit wahrer Freundschaft stets ganz
 
der Ihrige
Louis Spohr
 
Mit Freude und Dank habe ich den schönen theilnehmenden Brief von Margaret empfangen, und bitte Sie freundlichst, ihr dies einstweilen zu sagen, da ich wohl so schnell noch nicht zur Beantwortung Zeit finden werde. - Ergebenst empfiehlt sich
 
M. Spohr.

Autor(en): Spohr, Louis
Spohr, Marianne
Adressat(en): Taylor, Edward
Erwähnte Personen: Lamartine, Alphonse de
Malsburg, Caroline von der
Malsburg, Wilhelm von der
Taylor, Margaret
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte:
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1848040304

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf Taylor an Spohr, 23.03.1848. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Taylor an Spohr, 25.03.1850.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (10.12.2019).