Autograf: Spohr Museum Kassel (D-Ksp), Sign. Sp. ep. 1.1 <18480228>
Beleg: Autographen. Historische Autographen, literarische Autographen, Musiker, Schauspieler und bildende Künstler, Stammbücher. Versteigerung am 20., 21. und 22. Oktober 1926 (= Katalog Liepmannssohn 48), Berlin 1926, S. 174f.

Sr. Wohlgeb
Herrn A. Hesse
Königl Musikdirector
in
Breslau.

frei.0
 
 
Cassel den 28sten
Febr. 1848
 
Mein geehrter Freund,
 
Dieses Mal ist es eine Theaterangelegenheit, die mich zunächst zum Schreiben veranlaßt. Es ist uns ein, bey Ihrem Theater befindlicher Tenorist, Herr Schloß sehr empfohlen worden. Bevor die Intendanz mit ihm wegen eines Engagements für nächsten Herbst in Verhandlung tritt, wünschen sie mehreres über ihn zu wissen. Ich bitte daher mir über seine Stimme, Gesangsweise, Spiel und Figur pp bald möglichst einige Auskunft zu geben und hinzuzufügen, ob Sie ihn für tüchtig halten, bey uns den Platz eines ersten Tenoristen genügend auszufüllen!1
Unser Plan, während der nächsten Ferien nach Carlsbad zu fahren, steht noch fest und wir, wenn nicht etwa auch in Preußen, wie in Frankreich eine Revolution ausbricht, wohl zur Ausführung kommen. Mögte nur erst der Jammer, der in Ihrer Nachbarschaft herrscht, gemildert werden und nicht etwa noch weiter um sich greifen und auch zu Ihnen kommen.
Unser Kurfürst, der nun nach dem Tod seines Vaters mehr Geldmittel besitzt, scheint sein Hoftheater auf den frühern Glanz zurückbringen zu wollen; anstatt aber mit der Oper und der Vervollständigung des Orchesters zu beginnen, ist vor der Hand nun ein Ballet angeschafft worden, was ich für meine Person am leichtesten entbehrt hätte. Doch haben wir auch in neuerer Zeit einige gute Sänger aquirirt und so habe ich denn nach langer Pause die „Kreuzfahrer“ wieder in Gang bringen können, welche am 22sten zum 1sten mal nach der Aquise gegeben wurden.2 Das Publikum welches diese Oper schon lange solicidirt hatte, strömte in solchen Maßen herbey, daß viele keinen Platz fanden. Die Theilnahme war noch gesteigerter wie früher, die Wirkung aber auch wegen der bessern Besetzung von 3 Hauptrollen. Es hat mich von neuem gefreut, daß diese Oper, die, wie2a Sie selbst in Berlin gehört haben, nichts weniger als für lauten Aplaus eingerichtet ist, doch so allgemeine Theilnahme erregt und einen so nachhaltigen Eindruck hinterläßt. Die Präcision der Aufführung war aber auch musterhaft und nur mit einer solchen ist die ganze Wirkung zu erreichen. – Jene letzten Abonemmentconcerte am vorigen Mittwoch bin ich auch noch einmal als Solospieler aufgetreten, indem [ich] die erste Stimme des neuen Quar[te]ttconcertes ausführte und dann 3 von meinen neuen Salonstücken vortrug, die mir Bott auf dem Piano begleitete. Es waren dieß: eine Barcarole, ein Scherzo und eine Mazurka. Da unser Theater seit diesem Winter mit erwärmter Luft geheitzt ist, so spielt es sich jetzt wie im Saal und wir haben nun nicht mehr nöthig bey großer Kälte unsere Concerte auszusetzen.
Vor einigen Tag schrieb mir Schön, um mir einen Schüler zu empfehlen. Haben Sie die Güte, ihn bestens zu grüßen und ihm zu sagen, daß ich den von ihm Empfohlenen als Schüler aufnehmen werde.3
Leben Sie wohl. Von Herzen der Ihrige L. Spohr.



Der letzte Brief dieser Korrespondenz ist Hesse an Spohr, 31.12.1847. Hesse beantwortete diesen Brief am 03.03.1848.
 
[0] [Ergänzung 18.01.2022:] Auf dem Adressfeld befindet sich rechts oben der Poststempel „CASSEL / 28 / 2 / 1848“, auf der Rückseite des gefalteten Briefumschlags befinden sich die Stempel „BERLIN / [???] [1]8[47]“ und „AUSG. / 2 / 3 / N[o ???]“ sowie ein weiterer stark verwischter Stempel.
 
[1] Max Schloß debütierte als Gast am 09.05.1848 in Kassel (O[tto] K[raushaar], „Kassel (Vom Anfang Mai bis Mitte Oktober 1848)”, in: Allgemeine musikalische Zeitung 50 (1848), Sp. 709-712, hier Sp. 709). Anschließend war er 1848-1858 in Kassel engagiert (Reinhard Lebe, Ein deutsches Hoftheater in Romantik und Biedermeier. Die Kasseler Bühne zur Zeit Feiges und Spohrs (= Kasseler Quellen und Studien 2), Kassel 1964, S. 285).
 
[2] Vgl. O[tto] K[raushaar], „Kassel. Von Anfang Januar bis Ende April 1848”, in: Allgemeine musikalische Zeitung 50 (1848), Sp. 379ff., 393ff., 424f. und 437ff., hier Sp. 379
 
[2a] [Ergänzung 18.01.2022:] Hier ein Wort unleserlich gestrichen.
 
[3] In seinem Brief an Spohr, 20.02.1848 empfiehlt Moritz Schoen seinen Schüler Hancke an Spohr.
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (18.04.2016).