Autograf: nicht ermittelt
Druck 1: „Zwei Briefe Dr. Louis Spohr's an Gustav Flügel”, in: Euterpe 19 (1860), S. 98f., hier S. 99
Druck 2: Gustav Flügel, „Ein Vorschlag, die Einführung neuer Vortragszeichen betreffend”, in: Neue Zeitschrift für Musik 29 (1848), S. 31 (teilweise)
Druck 3: Ders., „Ueber die deutsche Bezeichnung der musicalischen Vortragsweise in Ueberschriften und zwischen den Notenlinien”, in: Niederrheinische Musik-Zeitung 5 (1857), S. 191 (teilweise)

Hochgeehrter Herr!

Cassel, den 16. Februar 1848.

Herzlichen dank für die freundliche Zusendung der mir gütigst gewidmeten Sonate! Meine Frau hat sie wiederholt vorgespielt und sie ist mir sehr lieb geworden. Leugnen will ich jedoch nicht, daß ich im ersten und letzten Satze (im mittlern weniger) einiges anders wünschte; da ich aber nicht behaupten kann und will, daß mein Geschmack der einzig richtige ist und daß meine Art, die Ideen an einander zu reihen und durchzuführen, die beste sey, so will dieser Wunsch im Grunde nicht viel sagen und ich erlebe es fast täglich, selbst bei Beethoven mein Urteil nicht mit dem seiner andern Verehrer zusammentrifft. Um nur ein Beispiel anzuführen, so giebt es für viele von diesen nichts Höheres als den letzten Satz der neunten Sinfonie, während er mir in Auffassung und Durchführung als etwas Vorzügliches keineswegs vorkommt. – Die drei Lieder, die Sie beygelegt haben, sagen mir aber sehr zu und sind ganz so, wie ich Lieder wünsche. Auszustellen hätte ich ebenfalls nur daß in dem übrigens so anziehenden Liede: „Das Vöglein” so oft drei Noten zu einer Sylbe vorkommen, was sich nicht gut singt und daß in dem: „Lohn der Liebe” eine für mein Ohr unangenehme harmonische Härte vorkommt.1
Zweierlei hat mir bei der Sonate noch sehr gefallen. Erstens, daß ich zum ersten Male auf dem Titel die Jahreszahl angegeben finde2, und zweitens, daß die Vortragsweise in den Ueberschriften und auch hin und wieder zwischen den Notenlinien deutsch gegeben ist3, und ich bedauere nur, daß dies nicht consequent durchgeführt ist, da sich immer noch die p, f, fz u.s.w. finden. Sollte sich dafür nicht ebenso einfache Zeichen und eben so allgemein verständliche auffinden lassen? Ich glaube, es bedürfte nur eines Vorschlags und er würde gewiß allgemeine Billigung und Aufnahme finden.4
Nochmals meine Freude aussprechend, durch die Zueignung Ihrer Sonate in brieflicher Berührung mit Ihnen gekommen zu sein, unterzeichne ich hochachtungsvoll als

Ihr
ergebenster
Louis Spohr.

Autor(en): Spohr, Louis
Adressat(en): Flügel, Gustav
Erwähnte Personen: Spohr, Marianne
Erwähnte Kompositionen: Flügel, Gustav : Lieder, Sgst Kl, op. 21
Flügel, Gustav : Sonaten, Kl, op. 20
Erwähnte Orte:
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1848021615

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf Flügel an Spohr, 01.02.1848. Mit diesem Brief scheint diese Korrespondenz zu enden.
Die Transkription folgt der Wiedergabe in Druck 1.

[1] Zu den Spohr vorliegenden Liedern vgl. Em[il] Klietzsch, „Gustav Flügel, Op. 21. Zwölf Lieder und Gesänge für eine Sgst. mit Begl. des Pfte. [...] 1stes Heft”, in: Neue Zeitschrift für Musik 30 (1849), S. 203.

[2] Vgl. Gustav Flügel, Sonate (N° 4 C Moll) für das Pianoforte, Leipzig 1848. 

[3] Vgl. Angaben wie „Leidenschaftlich bewegt” (ebd., S. 3). 

[4] Diesen Vorschlag unterbreitete Flügel in den beiden im Kopf angegebenen Aufsätzen „Ein Vorschlag” und „Ueber die deutsche Bezeichnung”; vgl. auch A[ugust] K[ahlert]: „Gustav Flügel, Sonate für das Pianoforte (Nr. 4, C moll). 20. Werk”, in: Allgemeine musikalische Zeitung 50 (1848), Sp. 234f. 

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (10.04.2015).