Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Münster, am 6ten Feb. 1848.

Sehr verehrter Herr Kapellmeister,

Sie waren so freundlich auf meine Bitte mir Ihre c moll Sinfonie zu senden, wofür ich Ihnen meinen besten Dank sage; daß ich Ihnen nicht sogleich das Werk nach der Aufführung zurücksandte, hatte einen Grund in einem Projekt von mir: 14 Tage später Ihre „Weihe der Töne“ aufzuführen, und durch die beizulegenden Conzertzettel zu Ihrer Kenntniß zu bringen, was denn hiermit geschieht.1
Beide Sinfonien sind mit Liebe und Freude vom Orchester ausgeführt worden, und wurden freudig vom Publikum aufgenommen, wie das denn auch gar nicht anders sein konnte, was sich nach meiner Überzeugung bei jeder wiederholten Aufführung steigern wird.
Sehr sorgfältige Proben gingen der Aufführung der allerdings sehr schwierigen Werke voraus, indessen war das Interesse des Orchesters an den Werken so groß, daß die Schwierigkeiten bald überwunden waren, und eine gerundete Aufführung die Sachen so klar zur Darstellung brachte, als es die Kräfte provinzialstädtischer Orchester nur erlaubten.
Es ist Ihnen vielleicht niemals zu Ohren gekommen, was sich beim ersten Probiren Ihrer „Weihe der Töne in Weimar vor etwa 12 Jahren unter Hummels Direktion begab; ich schreibe es Ihnen als erheiternde Unterhaltung.
Meister Hummel kam mit der Direktionsstimme (die Partitur mag man noch nicht gehabt haben) in die Probe, schlug los, und Alles ging im besten Einverständniß bis zu dem gefährlichen Buchstaben D des2 Andantino, wo zwei Takte später der 3//8 mit dem 9/16 zusammen kam, an welcher Klippe dann auch unser sonst ehrenfestes Orchester scheiterte. Aber wer jetzt das Sachverhätlniß durchaus nicht auseinander setzte, (wohl aus guten Gründen) das war unser guter Kapellmeister Hummel. Zu verschiedenen malen wurde eingesetzt, ob mans aber bis zum 2/8 Takt brachte und dann von Neuem rathlos war, oder gar nicht einmal, weiß ich jetzt nicht genau mehr, genug die Maschine stockte und der ständische Beirath wurde versammelt. Die einsichtsvollsten Leute des Orchesters, die beiden Musikdirektoren Götze und Eberwein, Lobe u der verstorbene Cammermusikus Müller bekamen die Direktionsstimme zur Einsicht, deren einem es dann gelang, die Verhältnisse zu enträthseln, so daß dann das Ganze zur glücklichen Lösung geführt wurde. – Moral: „das kömmt davon, wenn man die Partituren nicht studirt.“ –
Übrigens sind in dem ersten Fagott der letzten Sinfonie3 2 bedeutende Druckfehler, in der Eins des ersten Satzes des statt d, im letzten Satz, ich glaube unter L es statt e. –
Mit Besonderheiten über die herrlichen Werke darf es der Jüngling dem gereiften würdigen Meister gegenüber nicht wagen, nur so viel, sie haben meiner großen Verehrung neue Nahrung gegeben und sollen uns Alle hier noch recht oft erfreuen. Mit der größten Hochachtung empfiehlt Sich Ihnen ganz ergebenst:

C. Müller.



Dieser Brief ist die Antwort auf einen derzeit verschollenen Brief von Spohr an Müller. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Müller an Spohr, 26.09.1853.

[1] Dem Brief liegt derzeit nur noch das Programm zum „Vereins-Concert am 5ten Februar 1848“ mit der Weihe der Töne bei.

[2] Hier drei Buchstaben gestrichen.

[3] Hier gestrichen: „mal“.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (20.05.2022).