Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287[Seyler, C.:1
Druck: Louis Spohr, Louis Spohr’s Selbstbiographie, Bd. 2, Kassel und Göttingen 1860, S. 269 (teilweise)

Hochzuehrender Herr Hofcapellmeister!
Euer Wohlgeboren!

Werden staunen dieses Blatt von einer ganz fremden Hand beschrieben zu erhalten allein ich kann aus meinem inneren Drange nicht länger wiederstehen.Unzähligemal ergötzte ich mich in den Stunden welche mir mein Dienst zur Erholung gönnt am Pianoforte an dem 125ten Opus, jener Clavier-Sonate, die Euer Wohlgeboren dem leider schon verblichenen Herrn Felix Mendelsohn-Bartholdy dedicirten. –
Hingerissen durch den Zauber dieser Töne ergreife ich nun die Feder, um Euer Wohlgeboren im Nahmen aller fühlenden Clavierspieler die nicht immer Gelegenheit haben sich an ihren größeren Tonschöpfungen zu ergötzen, für dieses göttlliche Werk den innigsten Dank zu melden, und den heißesten Wunsch auszusprechen, uns Clavierspieler nun noch einmahl mit einem solchen Werke zu beglücken. – Ich Endesgefertigter bin im 7ten Jahre Chor-Director an der Cathedrale zu Gran in Ungarn und, durchaus nur für die Kunst lebend leider noch zu jung um von allem größeren Wirkungskreise, durch meinen jetzigen Aufenthalte weggerißen zu sein; doch was thut man nicht alles bei den jetzigen Zeiten, um eine sichere Anstellung zu haben. Ich war über 7 Jahre beim Orchester des Kärntnerthor-Theaters zu Wien, wo ich immer einen Festtag hatte, und an jenem Tage vergnügt, und mit meinen Clavierschülern viel freundlicher und geduldiger war, an welchem an den Ecken mein Ideal aller Opern „die Jessonda“ angekündigt war. – Den „Faust“ hatte ich leider zwischen diesen Jahren gar nicht zu hören bekommen, indem dieser wegen dem Wiener-Publikum, das nun die Riccis und Verdis ins Theater ziehen, nicht zur Aufführung gelangen konnte.- Ich schrieb schon sehr viele Compositionen, von welchen nur sehr wenige im Stiche sind; den größten Theil aber meiner Compositionen mag ich wohl für die Kirche geschrieben haben, indem ich allein 13 größere Messen und mehrere kleine schrieb. Nachdem nun mein ganzes Inneres von der edlen Spohrschen Weise erfüllet ist, so nähern sich auch meine Compositionen dieser überedlen Weise, wodurch ich schon öffters in den Zeitungs-Blättern bei Gelegenheit einer Aufführung meiner Ouverturen im Kärntnerthor-Theater oder Concerten mit Vergnügen die Bemerkung vernommen habe, daß ich mirs angelegen sein lasse Louis Spohrs Methode nachzuahmen1, – was ich zwar nicht suche, allein mein Inneres verlangt dahin! –
Nachdem ich nun am Anfange meines Schreibens so frei war den Zweck, welchen ich mit diesem habe, niederzuschreiben, füge ich nun noch ein Bitte, aber eine Große eine inständigste Bitte bei. – Wohl erwägend, daß hochgeehrter Herr Hof Capellmeister nicht alle derlei aus fremden Händen erhaltene Briefe zu beantworten geneigt sein werde, möchte ich nur unterthänigst bitten, durch Jemand nur in ein paar Worten, mir gnädigst zu wissen machen, ob nicht noch ähnliche Compositionen wie obige „Sonate“ ist, von welcher ich vielleciht nichts wissen dürfte, von Ihrer Composition im Stiche erschienen sind, und ob wir Clavierspieler unserer großen Sehnsucht, nur noch eine solche Composition bei welcher wir mit zwei Händen allein mit dem Geist des weltberühmten deutschen Kunst Heroen uns unterhalten können, in unsere Hände zu bekommen Raum geben dürfen? – und dann aber diese zwei kurz beantworteten Punkte mit ihrer eigenen Hand zu unterfertigen, damit ich die Handschrift des größten deutschen Harmonikers, der als Stern erster Classe am musikalischen Horizonte leuchtet, besitze, welche ich noch für meine Kinder als Kleinod bewahren möchte. –
Nachdem ich ergebenst bitte die Äusserung meiner unbegränzten Hochachtung nicht mißverstehen zu wollen, und meine obige Bitte deren Erfüllung mich glücklich machen kann nun ja gewiss und bald zu gewähren zeichnet sich mit ungewöhnlicher Hochachtung
Hochgeehrten Herrn Hofcapellmeister

ergebenster Diener
und Verehrer
Carl Seyler
Chor Direktor an
der Cathedrale zu
Gran in Ungarn

Gran, den 3ten Februar
848.

Autor(en): Seyler, Carl
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen:
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Faust
Spohr, Louis : Jessonda
Spohr, Louis : Sonaten, Kl, op. 125
Erwähnte Orte: Gran
Wien
Erwähnte Institutionen: Hoftheater am Kärntnertor <Wien>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1848020344

Spohr



[1] Vgl. „Concert der Dem. Therese Brunner“, in: Allgemeine Theaterzeitung 30 (1837), S. 267f., hier S. 268; „Eine bescheidene Ansicht“, in: Illustrirte Theaterzeitung 38 (1845), S. 680.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (29.05.2020).